Wenn der Wind dich ruft
ausgebeulten Stofftäschchens zu durchsuchen. Als seine Hand aus dem Retikül auftauchte, hielt er darin eines der Duftfläschchen, die bei den jungen Damen so in Mode waren.
»Oh, ich würde mich damit nicht abgeben«, warf Portia rasch ein, als er schon den Stöpsel herauszog und das Fläschchen an seine Nase hob. »Das ist nur mein Lavendel...«
Sie zuckte zusammen, als er zurückwich, sein Gesicht zu einer Grimasse verzog und unwillkürlich die Zähne entblößte.
Er steckte den Stöpsel wieder in die Flasche, warf ihr einen vorwurfsvollen Blick zu. »Es geht doch nichts über einen Tropfen Weihwasser hinter den Ohren, um das Verlangen eines jungen Mannes anzufachen.«
Vorsichtig stellte er den Glasflakon weg, dann griff er erneut in das Retikül. Diesmal wurde seine Suche in den Stofffalten mit einem Miniaturpflock belohnt, nicht länger als ein Federhalter, einem kleinen Dolch in einer Lederscheide, drei ledernen Garrotten unterschiedlicher Länge und einer eleganten Pistole mit Perlmuttgriff, die gerade groß genug für eine Kugel war.
Während er das Waffenarsenal auf dem Tisch vor sich betrachtete, schüttelte Julian den Kopf. »Vorbereitet für alle Eventualitäten, was, meine Liebe?«
Portia bemühte sich nicht, ihr Grinsen zu unterdrücken. »Du solltest sehen, was ich alles mit einer Hutnadel anstellen kann.«
»Du bist voller Überraschungen, Kleines.« Sein Blick glitt gemächlich über sie, von dem eng anliegenden Oberteil ihres Kleides zu ihren zierlichen Ziegenlederstiefeln. »Ich frage mich gerade, was für Waffen du wohl darunter verborgen hast?«
»Halte Abstand, und du wirst es nicht herausfinden müssen.«
»Soll ich etwa glauben, dass mein Bruder dich in sein Vampirjägergeschäft aufgenommen hat?«
Sie senkte den Blick. »Nicht richtig. Wenigstens noch nicht«, räumte sie ein. »Aber ich glaube, es ist nur eine Frage der Zeit, ehe er begreift, wie hilfreich meine Mitarbeit sein kann.«
Er betrachtete sie mit widerwilliger Bewunderung. »Man bedenke nur, ich habe mir allen Ernstes Sorgen gemacht, was die Schurken in der Spielhölle dir antun könnten. Dabei hätte ich mich besser darum gesorgt, was du mit ihnen anstellen könntest.« Er fuhr mit einem Finger den Holzpflock entlang. »Oder was du mir antun könntest. «
Portia riss ihren Blick von den langen, eleganten Fingern auf dem glatten Holz los, wurde bis unter die Haarwurzeln rot. »Wenn ich heute Nacht hergekommen wäre, um dich umzubringen, wärest du längst Staub.«
»Oder ich hätte außer meinem Wein auch etwas zu beißen zum Dinner gehabt.« Das spöttische Funkeln in seinen Augen machte es ihr unmöglich zu sagen, ob er sie aufzog oder ihr drohte.
Sie bedachte ihn mit einem fröhlichen Lächeln. »Wenn du hungrig wärest, wäre ich nur zu gerne bereit, rasch zum nächsten Fleischerladen zu laufen und dir etwas rohes Roastbeef zu besorgen oder saure Nierchen.«
»Mir schwebte etwas Frischeres vor.« Sein Blick glitt neckend über ihren Hals. »Etwas Süßeres.«
»Hast du das gesucht, als du diese Frauen umgebracht hast?«
Sein Lächeln verblasste. »Glaubst du das?«
»Ich weiß es nicht«, bekannte sie, drehte sich zum Fenster um und schob den dichten Stoff zur Seite, um seiner durchdringenden Musterung zu entrinnen.
Ein einzelner Mann löste sich aus den Schatten unten in der Gasse.
»Oh nein«, hauchte sie. »Das kann doch nicht sein. Nicht er! Er hat mir versprochen, dass er nicht vor dem Morgen kommt.«
»Was ist los?« Julian trat hinter sie, sodass die feinen Härchen in ihrem Nacken sich aufstellten.
Er spähte über ihren Kopf hinweg nach unten. Sie beide standen weit genug von der Scheibe entfernt, um von unten nicht gesehen zu werden. Die beeindruckenden Schultern unter den weiten Schulterkragen des Mantels des Eindringlings waren ebenso verräterisch wie der Gehstock, den er in einer kräftigen Hand hielt. Ein Gehstock, der sich sekundenschnell mit nicht mehr als einem Drehen des Handgelenks in eine tödliche Waffe verwandeln ließ.
»Was auch immer, auf jeden Fall ist mein Bruder berechenbar«, murmelte Julian, seine heisere Stimme dicht an ihrem Ohr. »Ich habe geahnt, dass es nur eine Frage der Zeit wäre, ehe er mich aufsucht.«
»Das hier ist kein Verwandtschaftsbesuch«, erklärte Portia, während neben Adrian der unheilvoll vertraute Umriss eines zweiten Mannes sichtbar wurde.
Alastair Larkin war ein ehemaliger Konstabler, der in Oxford Adrians bester Freund gewesen war. Die beiden
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