Wenn die Dunkelheit kommt
Das Problem war nur, er hätte genausogut tot sein können.«
»Wieso?«
»Er war hinüber.«
»Was?«
»Verrückt. Tobsüchtig, völlig irre«, sagte Shelly und drehte das Scotch-Glas nervös in ihren langfingrigen Händen herum. »Nach dem, was Vince hörte, muß der Bursche mit angesehen haben, was mit den vier anderen passiert ist, und was immer es war, es hat ihn eindeutig um den Verstand gebracht, er war restlos hinüber.«
»Wie hieß er?«
»Das hat Vince nicht gesagt.«
»Wo ist er jetzt?«
»Ich nehme an, Don Carramazza hat ihn irgendwo hingebracht.«
»Und er ist immer noch... verrückt?«
»Das nehme ich an.«
»Hat Carramazza noch ein drittes Killerkommando ge
schickt?«
»Soviel ich weiß, nicht. Dieser Lavelle hat dem alten Carramazza daraufhin wohl eine Botschaft geschickt:
>Wenn Sie Krieg wollen, dann können Sie ihn haben.< Und er hat die Familie davor gewarnt, die Macht des Voodoo zu unterschätzen.«
»Und diesmal hat keiner mehr gelacht«, sagte Jack.
»Keiner«, bestätigte Shelly.
Sie schwiegen einen Augenblick.
Jack sah sich Shelly Parkers Augen an. Sie waren nicht rot. Die Haut ringsherum war nicht verquollen. Es gab keine Anzeichen dafür, daß sie um Vince Vastagliano, ihren Liebhaber, geweint hatte.
Er fragte: »Ms. Parker, glauben Sie, daß das alles tatsächlich durch... Voodoo-Verwünschungen oder so etwas gemacht wurde?«
»Nein. Vielleicht. Verdammt, ich weiß es nicht. Nach allem, was in den letzten Tagen passiert ist, wer kann das sagen? An eines glaube ich sicher: Ich glaube, daß dieser Baba Lavelle ein raffinierter, heimtückischer und ganz übler Typ ist.«
Jetzt schaltete sich Rebecca ein: »Wir haben gestern ein wenig von seiner Geschichte gehört, vom Bruder eines weiteren Opfers. Nicht so ausführlich, wie Sie sie uns erzählt haben. Er schien nicht zu wissen, wo wir Lavelle finden können. Wissen Sie's?«
»Er hatte früher eine Wohnung im Village«, erklärte Shelly. »Aber da ist er nicht mehr. Seit das alles angefangen hat, kann ihn keiner mehr finden. Seine Straßendealer arbeiten noch für ihn und werden auch noch beliefert, das hat jedenfalls Vince gesagt, aber niemand weiß, wo Lavelle sich verkrochen hat.«
»Die Wohnung im Village, wo er mal war«, sagte Jack. »Wissen Sie zufällig die Adresse?«
»Nein. Ich habe Ihnen doch gesagt, ich habe mit diesem Drogengeschäft eigentlich nichts zu tun. Ehrlich. Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, was Vince mir erzählt hat.«
Jack warf Rebecca einen Blick zu. »Noch was?«
»Nein.«
Zu Shelly sagte er: »Sie können gehen.« Sie trank endlich einen Schluck Scotch, stellte das Glas ab, stand auf und zog ihren Pullover zurecht. Dann verließ sie den Raum, und sie hörten ihre Schritte im Korridor.
2
Der Leichenbeschauer, der den Fall übernommen hatte, hieß Ira Goldbloom und sah eher wie ein Schwede als wie ein Jude aus. Er war groß, mit heller Haut und so blondem Haar, daß es fast weiß wirkte; seine Augen waren blau mit vielen grauen Einsprengseln.
Jack und Rebecca fanden ihn oben im großen Schlafzimmer. Er hatte die Untersuchung der Leiche des Leibwächters in der Küche abgeschlossen, einen Blick auf Vince Vastagliano geworfen und holte gerade einige Instrumente aus seinem schwarzen Lederkoffer.
»Für einen Mann mit schwachem Magen«, sagte er, »habe ich mir den falschen Beruf ausgesucht.« Jack sah, daß Goldbloom noch bleicher wirkte als gewöhnlich.
Rebecca sagte: »Wir glauben, daß diese beiden, der Charlie-Novello-Mord am Sonntag und der Coleson-Mord gestern etwas miteinander zu tun haben. Können Sie da eine Verbindung herstellen?«
»Vielleicht.«
»Nur vielleicht?«
»Ja, nun, es gibt da tatsächlich eine Möglichkeit, eine Beziehung herzustellen«, sagte Goldbloom. »Die Anzahl der Verletzungen... die Verstümmelung... es sind einigeÄhnlichkeiten vorhanden. Aber wir müssen den Obduktionsbericht abwarten.«
Jack war überrascht. »Aber was ist mit den Wunden selbst? Stellen die kein Verbindungsglied dar?«
»Von der Anzahl her ja. Aber nicht vom Typ. Haben Sie sic h die Verletzungen angesehen?«
»Auf den ersten Blick«, sagte Jack, »scheinen es irgendwelche Bisse zu sein. Rattenbisse, dachten wir.«
»Aber wir glauben, daß sie die wirklichen Verletzungen nur verdecken«, sagte Rebecca.
»Die Ratten kamen offensichtlic h erst, nachdem die Männer schon tot waren. Richtig?« fragte Jack.
»Falsch«, widersprach Goldbloom. »Soweit ich nach einer Voruntersuchung
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