Wenn die Dunkelheit kommt
die Suite gelangt«, sagte Jack. »Ich kann mir vielleicht noch einreden, daß Ratten sich gegen die Rückseite des Gitters stemmen und es wegdrücken könnten, aber ich werde auch in einer Million Jahre nicht glauben, daß sie durch denselben Schacht wieder verschwunden sind und es irgendwie geschafft haben, das Gitter hinter sich wieder einzusetzen. Keine Ratte - kein Tier, das du mir nennen kannst könnte so gut abgerichtet, so geschickt sein.«
»Nein. Natürlich nicht. Das ist lächerlich.«
»Also«, sagte er.
»Also«, sagte sie. Sie seufzte. »Dann hältst du es also für einen merkwürdigen Zufall, daß die Männer hier offenbar zu Tode gebissen wurden, kurz nachdem Wicke Ratten in den Wänden hörte?«
»Ich mag Zufälle nicht«, sagte er.
»Ich auch nicht.«
»Gewöhnlich stellt sich heraus, daß es gar keine Zufälle sind.«
»Genau.«
»Aber trotzdem ist es die einzige Möglichkeit. Zufall, meine ic h. Es sei denn...«
»Es sei denn was?«
»Es sei denn, du willst Voodoo, schwarze Magie und so weiter in Betracht ziehen...«
»Nein, danke.«
»... Dämonen, die durch die Wände kriechen...«
»Jack, in Gottes Namen!«
»...herauskommen, um zu morden, wieder mit der Wand verschmelzen und einfach verschwinden.«
»Ich höre mir das nicht länger an.«
Er lächelte. »Ich mache doch nur Spaß, Rebecca.«
»Den Teufel tust du. Du meinst vielleicht, daß du die sem Hokuspokus keinen Glauben schenkst, aber tief im Inneren gibt es einen Teil von dir, der...«»Übermäßig aufgeschlossen ist«, vollendete er.
»Wenn du unbedingt Witze darüber machen willst...«
»Das will ich. Unbedingt.«
»Aber es ist trotzdem wahr.«
»Ich bin vielleicht übermäßig aufgeschlossen, wenn das überhaupt möglich ist...«
»Das ist es.«
»... aber wenigstens bin ich nicht unflexibel.«
»Ich auch nicht.«
»Oder habe Angst.«
»Was willst du damit sagen?«
»Denk selber darüber nach.«
»Willst du damit etwa sagen, daß ich Angst habe?«
»Hast du denn keine, Rebecca?«
»Wovor?«
»Zum Beispiel vor gestern nacht.«
»Red keinen Unsinn.«
»Dann laß uns darüber sprechen.«
»Nicht jetzt.« Er sah auf seine Uhr. »Zwanzig nach elf. Um zwölf ma chen wir Mittagspause. Du hast mir versprochen, beim Mittagessen darüber zu reden.«
»Ich sagte, wenn wir Zeit zum Mittagessen haben.«
»Wir werden Zeit haben.«
»Du bist unmöglich, Jack.«
»Fest entschlossen.«
»Verdammt.«
»Und außerdem reizend«, behauptete er. Sie war offensichtlich nicht seiner Ansicht. Sie entfernte sich. Anscheinend sah sie sich lieber eine von den verstümmelten Leichen an.
Hinter dem Fenster fiel der Schnee jetzt sehr dicht. Der Himmel war grau. Obwohl es noch nicht einmal Mittag war, sah es draußen aus, als dämmere es schon.
9
Lavelle trat aus der Hintertür des Hauses. Er ging zum Ende der Veranda und stieg drei Stufen hinunter. Er blieb am Rand des verdorrten braunen Rasens stehen und blickte hinauf in das wirbelnde Chaos der Schneeflocken.
Er hatte noch nie Schnee gesehen. Auf Bildern natürlich schon. Aber nicht in Wirklichkeit. Bis zum letzten Frühjahr hatte er sein ganzes Leben - dreißig Jahre - auf Haiti, in der Dominikanischen Republik, auf Jamaica und auf mehreren anderen Karibischen Inseln verbracht.
Er hatte erwartet, daß der Winter in New York für je manden, der nicht daran gewöhnt war, unangenehm, sogar beschwerlich sein würde. Sehr zu seiner Überraschung hatte er ihn jedoch bisher als erregend und positiv empfunden.
Außerdem hatte er in dieser großen Stadt ein gewaltiges Reservoir der Macht entdeckt, auf die er für seine Arbeit angewiesen war: die unendlich nützliche Macht des Bösen. Natürlich blühte das Böse überall, auch auf dem Lande und in den Vororten, nicht nur innerhalb der Stadtgrenzen von New York. Es herrschte auch in der Karibik, wo er seit seinem zweiundzwanzigsten Lebensjahr als Bocor - als ein in der Ausübung der schwarzen Magie erfahrener Voodoo-Priester -tätig war, kein Mangel daran. Aber hier, wo so viele Menschen sich auf einem so relativ kleinen Stück Erde zusammendrängten, hier, wo jede Woche zwanzig bis vierzig Morde verübt wurden, hier, wo tätliche Angriffe, Vergewaltigungen, Raubüberfälle und Einbrüche jedes Jahr in die Zehntausende gingen sogar in die Hunderttausende -hier, wo eine Armee von Straßenmädchen nach Freiern Ausschau hielt, wo Legionen von Betrügern nach Opfern suchten, wo es alle möglichen verdrehten Irren, Perversen,
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