Wenn die Nacht dich kuesst...
versucht, ihn zu beißen. Ich hätte ihm die Kehle zerfleischt, hätte ich mich aus meinen Ketten befreien können. Aber der sture Narr weigerte sich, mich aufzugeben. Er brachte mir die Nahrung, die ich zum Überleben brauchte, und verbrachte Stunden eingesperrt mit mir auf dem Dachboden, schrie mich an, bis er heiser war, erinnerte mich gnadenlos daran, wer ich war — wer ich gewesen war —, bis ich einen schwachen Rest meiner Menschlichkeit finden konnte, an die ich mich klammerte. Und er erinnert mich seitdem jeden Tag daran.«
Adrian schaute direkt in Carolines graue Augen, in denen Tränen schwammen. »Sieh mich nicht so an«, warnte er. »Ich bin vielleicht nicht der Schuft, für den du mich gehalten hattest, aber ich kann dir versichern, dass ich kein Held bin.«
»Wie kannst du das sagen, wo du so viel geopfert hast, um deinen Bruder zu retten?«
»Weil ich ihn nicht gerettet habe«, erwiderte er grimmig. »Noch nicht.«
»Adrian hat in den vergangenen fünf Jahren nicht nur Vampire gejagt«, erklärte Julian. »Er hat sie auch studiert. Er war es, der entdeckte, dass es einen Weg geben könnte, meine Seele zurückzubekommen.«
»Wie ist das möglich?«, wollte Caroline wissen.
Julians Augen glitzerten aufgeregt. »Wenn ich den Vampir zerstöre, der mich >gezeugt< hat, und mir zurückhole, was er gestohlen hat, dann kann ich wieder leben. Wir müssen Duvalier finden und in unsere Gewalt bringen, und dann muss ich ihn trocken trinken.«
»Ihn >trocken trinken« Caroline schluckte. »Heißt das wirklich das, was ich mir gerade vorstelle?«
Julian nickte. »Ich fürchte, ich muss meine wählerischen Essgewohnheiten aufgeben — wenigstens für eine Mahlzeit. «
»Aber was, wenn jemand anders ihn zuerst vernichtet? Wird Ihre Seele dann für immer verloren sein?«
Adrian tauschte einen Blick mit seinem Bruder, ehe er antwortete: »Nicht notwendigerweise. Aber es würde die Sache wesentlich schwieriger machen, weil Julians Seele und all die anderen Seelen, die Duvalier in den vergangenen fünf Jahren gestohlen hat, zu dem Vampir zurückkehren würden, der Duvalier gezeugt hat. Damit würde der allerdings umso mächtiger. Und obwohl wir ein paar Verdächtige haben, können wir nicht mit Sicherheit sagen, wer das war.«
Caroline schüttelte leicht den Kopf. Es fiel ihr sichtlich schwer, alles zu verarbeiten, was sie erfahren hatte. »Also sind Vampire nicht einfach nur Wesen, die Blut trinken, um zu überleben. Sie haben keine eigenen Seelen, aber sie horten die Seelen derer, die sie zu den Ihren machen.«
»Genau«, bestätigte Adrian. »Sie nähren sich von ihnen und werden stärker mit jeder gestohlenen Seele.«
Weil ihr plötzlich kalt war, rieb sich Caroline mit den Händen die Oberarme. »Also ist Duvalier in den vergangenen Jahren mächtiger geworden.«
»Mächtiger, aber nicht unbesiegbar«, stellte Adrian fest. »Wir haben die vergangenen fünf Jahre damit verbracht, dem Bastard über die ganze Welt zu folgen — Rom, Paris, Istanbul, die Karpaten. Wir waren ihm auf den Fersen, aber bis jetzt war er uns immer einen Schritt voraus.«
»Jetzt?«, wiederholte Caroline. »Warum jetzt?«
Adrian griff nach Caroline. Er war nicht länger in der Lage, der Versuchung zu widerstehen, sie zu berühren. Besonders da es das letzte Mal sein mochte. Er umfing ihr Gesicht mit beiden Händen, und seine Daumen strichen zärtlich über die seidige, sahnige Haut ihrer Wangen. »Weil wir endlich etwas gefunden haben, dem er nicht widerstehen kann.«
Julian stemmte einen Stiefel gegen die Wand und begann, einen unsichtbaren Fleck auf dem Leder mit seinem Taschentuch zu bearbeiten. Er sah dabei aus, als wünschte er sich nichts sehnlicher, als sich in eine Fledermaus verwandeln zu können und wegzufliegen.
Caroline schüttelte verwirrt den Kopf. »Aber wie könnte man so ein Ungeheuer anlocken ... ?«
Adrian konnte nur hilflos mit ansehen, wie ihre Verwirrung Fassungslosigkeit Platz machte.
»0 Gott«, flüsterte sie, und alles Blut wich ihr aus dem Gesicht. »Es ist Vivienne, nicht wahr? Tante Marietta hat mir erzählt, das erste Mal, als du Vivienne erblickt hast, habest du ausgesehen, als hättest du ein Gespenst entdeckt. Und Larkin hat mich zu warnen versucht, dass sie Eloisa verblüffend ähnlich sieht, aber ich wollte nicht hören. Das ist der Grund dafür, dass du ihr geraten hast, wie sie ihr Haar tragen soll. Die Kamee ... das Ballkleid ... sie gehörten Eloisa, nicht wahr? Himmel, ich wette, sie
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