Wenn die Nacht dich kuesst...
Schwester braucht eine Anstandsdame.«
Portia sah sich fieberhaft im Zimmer um, sie suchte nach einem Argument, das Caroline umstimmen würde. »Du musst keine Angst haben, dass ich dich in Verlegenheit bringe. Eines der Zimmermädchen hat Vivienne und mir geholfen, mein altes Sonntagskleid in ein vollkommen respektables Ballkleid zu verwandeln.« Sie nahm den vertrauten blau-weiß gestreiften Musselin von der Stuhllehne und hielt ihn vor sich, damit Caroline ihn bewundern konnte. Portia lächelte ihre große Schwester hoffnungsvoll an. »Ist es nicht schön geworden? Wir haben sogar eine neue Schärpe angenäht und eine Extrareihe Spitzen um den Ausschnitt, um zu verhüllen, wie sehr mein Busen im vergangenen Jahr gewachsen ist. Und schau dir das hier an!« Vom Frisiertisch holte sie eine Halbmaske aus Pappmaché mit einer kleinen rosa Nase und langen Barthaaren wie bei einer Katze und hielt sie sich vor das Gesicht. »Julian hat sie für mich auf dem Dachboden gefunden.«
Caroline versteifte sich. Sie wollte verzweifelt glauben, dass Julian sich seinem Schicksal widersetzte; aber wenn sie an die Dunkelheit in seinen Augen und die im Mondlicht schimmernden Fangzähne dachte, musste sie sich anstrengen, um ihre Angst zu unterdrücken.
Seufzend nahm Caroline Portia die Maske ab und warf sie zurück auf den Frisiertisch. »Es ist alles sehr schön, und ich bin auch sicher, dass du es bald schon tragen kannst. Aber nicht heute Nacht.«
Portias hoffnungsvolles Lächeln verblasste und machte finsterem Stirnrunzeln Platz. Sie ließ das Kleid achtlos auf das Bett fallen. »Ich verstehe nicht, was mit dir auf einmal los ist. Du bist nicht mehr du selbst, seit du gestern Lord Trevelyan suchen gegangen bist. In der einen Minute bist du überzeugt, dass er der Teufel in Menschengestalt ist, und als Nächstes erzählst du mir, alles sei nur ein dummer Fehler gewesen.«
Caroline ergriff ein Stück Spitze, das auf dem Frisiertisch lag, wickelte es sich um den Finger und wich Portias Blick aus. »Was ich dir gesagt habe, war, dass der Viscount und ich alle Missverständnisse geklärt haben. Er ist kein Vampir, und ich habe beschlossen, dass er einen guten Ehemann abgeben wird.«
»Für Vivienne?« Portia verschränkte die Arme vor der Brust. »Oder für dich?«
Caroline spürte, wie ihr die Röte in die Wangen stieg; sie hob den Kopf und schaute ihrer trotzig blickenden Schwester in die Augen. Sie hätte darauf gefasst sein müssen. Trotz ihres Altersunterschiedes hatten Portia und sie sich immer näher gestanden als Vivienne. Was es doppelt schwer für sie machte, ihre jüngste Schwester nun anzulügen.
»Für Vivienne, natürlich, du dummes Gänschen! Ich weiß nicht, warum du immer romantische Phantasien spinnen musst, solange du gar nicht weißt, was zwischen Mann und Frau vorgeht.«
»Wenn du mich nicht zum Ball gehen lässt, finde ich das vielleicht niemals heraus! Bitte, Caroline!. Portia schlug die Hände zusammen, und ihr flehentlicher Blick hätte sogar ein Herz aus Stein erweichen können. »Als ich Julian erzählt habe, wie wir drei zusammen auf Edgeleaf Tanzen geübt haben, hat er versprochen, mich zu einem Walzer aufzufordern.«
Bei der Vorstellung, wie ihre Schwester in Julians Armen durch den Ballsaal schwebte, seine scharfen, spitzen Zähne nur wenige Zoll von ihrem Hals entfernt, schwoll Carolines Angst zu überwältigendem Entsetzen an.
Ehe sie sich davon abhalten konnte, hatte sie Portia am Arm gepackt und sie geschüttelt. »Du setzt heute Nacht keinen Fuß vor die Tür dieses Zimmers, junge Dame. Wenn ich morgen früh herausfinde, dass du es doch getan hast, schicke ich dich ohne Aufschub alleine zurück nach Edgeleaf, und du wirst Julian Kane niemals wiedersehen. Oder irgendeinen anderen Mann! Hast du mich verstanden?«
Portia befreite sich aus Carolines Griff und begann, mit Tränen in den Augen vor ihr zurückzuweichen. »Du bist nichts anderes als ein garstiges, selbstsüchtiges Geschöpf! Du willst nur, dass ich eine vertrocknete alte Jungfer werde wie du, damit du nicht allein bist, wenn Vivienne den Mann heiratet, den du liebst!« Damit drehte sie sich um, warf sich mit dem Gesicht nach unten auf ihr Bett und begann herzzerreißend zu schluchzen.
Gestern noch hätten Portias Worte sie tief verletzt. Aber nicht heute. Caroline wusste, dass ihre Schwester ebenso weichherzig war, wie sie impulsiv war. Portia würde ihre unfreundlichen Worte bald bereuen, wenn sie das nicht schon jetzt
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