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Wenn die Nacht dich kuesst...

Wenn die Nacht dich kuesst...

Titel: Wenn die Nacht dich kuesst... Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Teresa Medeiros
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umgedreht. Ich habe Tante Mariettas Zuneigung gestohlen. Ich habe dir dein Debüt gestohlen. Ich habe all die hübschen Kleider und Tanzschuhe gestohlen, die Mama für dich ausgesucht hatte. Himmel, wenn du an meiner Stelle nach London gegangen wärest, vielleicht würde der Viscount heute Nacht sogar dir einen Antrag machen.«
    Einen qualvollen Augenblick lang bekam Caroline keine Luft. Sie konnte nicht antworten. »Aber, aber«, gelang es ihr schließlich zu murmeln. »Du musst dir jetzt nicht deinen hübschen Kopf darüber zerbrechen.«
    Vivienne lehnte ihren Kopf an Carolines Schulter, ihre Stimme wurde zu einem undeutlichen Singsang. »Liebe, süße Caroline. Ich hoffe, du weißt, dass für dich immer ein Platz in meinem Herzen und meinem Heim sein wird.« In die Kissen sinkend, hielt sie sich die Hand vor den Mund und gähnte. »Wenn wir erst verheiratet sind, kann dir Lord Trevelyan vielleicht sogar einen Ehemann suchen.« Ihre Augen schlossen sich flatternd. »Irgendeinen einsamen Witwer mit zwei oder ... drei ... Kindern, ... der ... eine … Mutter ...« Sie verstummte, und ein leises Schnarchen schlüpfte über ihre Lippen.
    Wie sie so dalag, die Augen geschlossen, die Wangen gerötet und die Lippen zu einem verträumten Lächeln verzogen, sah sie einmal mehr wie eine verzauberte Prinzessin aus, die friedlich schlummernd darauf wartete, dass sie durch den Kuss des Prinzen erweckt würde.
    »Schlafe, Liebling«, flüsterte Caroline und hauchte ihrer Schwester einen Kuss auf die Stirn, während sie ihr sachte die weiße Rose aus dem Haar und die Kette mit der Kamee über den Kopf zog. »Träume.«
    Die gute Gesellschaft liebte nichts mehr als Maskenbälle. Für eine verzauberte Nacht waren die Menschen frei, die strengen Regeln, die ihnen sonst auferlegt waren, zu vergessen und irgendjemand anderer — oder etwas anderes — zu werden, ganz nach Belieben. Nachdem sie ihre kunstvollen Masken aufgesetzt hatten, konnten sie Jungfrau oder Wikinger sein, Lamm oder Löwe, Bauer oder Prinz. Während sie sich unter die Menge in dem Rittersaal mischten, erinnerten ihre übermütige Laune und ihr Verhalten an die heidnischen Mittsommerfeiern von früher, wo jeder Mann ein Pirat war und die Tugend keiner Frau sicher.
    Ihr Gastgeber beobachtete das Treiben von der Galerie im Saal aus, in seinen kräftigen Fingern hielt er einen zierlichen Champagnerkelch. Unter ihm eilte eine maskierte Schäferin durch das Gewühl, verfolgt von einem anzüglich grinsenden Zentaur. Sie kreischte vor Vergnügen, als er sie bei ihrem gebogenen Stab zu packen bekam und in seine Arme zog. Er beugte sie über seinen Arm nach hinten und küsste sie voller Leidenschaft. Die Umstehenden belohnten das Schauspiel mit Applaus und Anfeuerungsrufen, woraufhin er sich aufrichtete und eine elegante Verbeugung machte, während die Schäferin in eine gespielte Ohnmacht fiel. Adrian nahm einen Schluck. Er beneidete seine Gäste um ihre Sorglosigkeit.
    Abgesehen von einer Reihe Stühle, die die Südwand säumten, war jedes Möbelstück aus dem Weg geräumt worden, und der alte Rittersaal erstrahlte wieder in seiner ganzen mittelalterlichen Pracht. Auf Adrians Anweisung hin hatten die Lakaien die üppigen orientalischen Teppiche aufgerollt, sodass auf dem Steinboden eine Tanzfläche entstanden war. Ein ganzes Orchester in den Kostümen von Benediktinermönchen, komplett mit grob gewebten Tuniken und Tonsuren, saß auf einem Podest in einer Ecke und spielte ein Mozartkonzert.
    Das milde Licht der Argand-Lampen war durch den flackernden Schein von Pechfackeln in eisernen Wandhaltern ersetzt worden. Schatten sammelten sich im Gebälk des Deckengewölbes, und die erdrückende Anzahl dicker Holzbalken verstärkte die geheimnisvolle Aura von Gefahr im Saal nur noch.
    Adrian betrachtete forschend jede Maske, jedes Gesicht auf der Suche nach seinem Opfer. Das unbeständig flackernde Licht der Fackeln schien jedes Glitzern der Augen in raubtierhaftes Glänzen zu verwandeln, jedes Grinsen in eine finstere Fratze, jeden Mann in ein mögliches Ungeheuer.
    »Oje. Ich habe ganz vergessen, dass es ein Maskenball ist«, bemerkte Julian im Näherkommen. Er breitete seinen schwarzen Umhang aus und drehte sich leicht schwankend einmal im Kreis, bleckte die Lippen und zeigte ein Paar offensichtlich aus Wachs gefertigter Reißzähne.
    »Das finde ich nicht komisch«, erwiderte Adrian knapp, dessen einziges Zugeständnis an den Anlass ein schwarzer Domino war. Er hatte sich der

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