Wenn Die Seele Verletzt Ist
erreicht, befreit er die Stadt von einer Sphinx, indem er ihr Rätsel löst, und heiratet Jokaste, die verwitwete Königin. Jahre später wird die Stadt von der Pest heimgesucht. Man befragt die Götter, und der Seher Teiresias verkündet, daß die Ursache der Seuche in einer Schuld bestehe, die ein Mächtiger der Stadt auf sich geladen habe. Langsam aber sicher kommt die Wahrheit ans Licht. Der Bote des Polybos taucht auf und teilt Ödipus mit, daß er nicht der Sohn des Königs von Korinth sei – die Löcher in seinen Füßen sind der Beweis –, sondern der Sohndes Laios, jenes Alten, den er beim Handgemenge tötete. Als ihm gleichzeitig klar wird, daß dessen Frau Jokaste seine Mutter sein muß, die von ihm, also von ihrem Sohn, schwanger ist, kennen seine Not und sein Elend keine Grenzen. Jokaste, die die Wahrheit nicht erträgt, erhängt sich. Als Ödipus das sieht, reißt er eine Schmucknadel aus ihrem Gewand und sticht sich diese mehrfach in die Augen. Nach allem, was er bewirkt hat, will er das Licht der Sonne nicht mehr sehen.
Soweit die antike Tragödie. Auch wenn Freud sie in dem Sinne interpretierte, daß jedes Kind der natürliche Gegner des jeweils gegengeschlechtlichen Elternteils sei und versuche, diesen von seinem Platz zu drängen, ist der Aggressor des Dramas eindeutig der Vater und nicht das Kind, und so läge Freud mit seiner Bezeichnung „Ödipuskomplex“ trotz allem nicht so weit daneben.
Die Auswirkungen des Rückzugsmanövers von der Verführungstheorie zum Ödipuskomplex waren äußerst folgenreich für die Betroffenen: Aus den mißbrauchten Opfern wurden plötzlich Täter, die zur Befriedigung ihrer gewaltvollen Sexualität vor nichts zurückschreckten. Freud hatte, wie eine seiner Anhängerinnen, Marie Bonaparte, schrieb, „die Lüge der Hysterikerin durchschaut... die regelmäßige Verführung durch den Vater ist ein Phantasiegebilde“ (Egle S. 118). Seinem Weggefährten Karl Abraham überließ es der Meister, das Thema „Verführungstheorie“ zum Abschluß zu bringen, das „letzte Wort in der Frage der traumatischen Ätiologie“ zu sprechen (Freud 1914, S. 55). Abraham kam der Bitte nach und formulierte, Kinder hätten „ein abnormes Begehren nach sexuellem Lustgewinn“. Er glaubte, den Nachweis führen zu können, „daß in einer großen Anzahl von Fällen das Erleiden des sexuellen Traumas vom Unbewußten des Kindes gewollt wird, daß wir darin eine Form infantiler Sexualbetätigung zu erblicken haben“ (Abraham 1907, S. 166). Aus der Verdrängung dieses Begehrens entstünden dann die psychischen Symptome.
Der Diplompsychologe Sebastian Krutzenbichler nennt in seinem Aufsatz „Sexueller Mißbrauch als Thema der Psychoanalyse von Freud bis zur Gegenwart“ dieses Zitat Karl Abrahams „das beschämendste der Psychoanalyse zum sexuellen Mißbrauch gegen Kinder und lange Zeit in der Tat dasLetzte im wörtlichen und doppelten Sinne. Er (Abraham) ist ein Wegweiser zu jahrzehntelangem Verleugnen und implizitem Kommunikationsverbot innerhalb der psychoanalytischen Gemeinschaft zum Thema – zwei der wichtigen Spezifika in Mißbrauchsfamilien!“ (Krutzenbichler in Egle, S. 119). Aus dem Mädchen, das ursprünglich Opfer eines realen Mißbrauchs durch den Vater oder einen anderen erwachsenen Mann geworden war, wurde eine „Hysterikerin“, eine Täterin, die sich aufgrund ihrer aggressiven Sexualität immer wieder in Situationen begibt, in der sie vergewaltigt wird. Abraham klassifiziert dieses Bedürfnis als „eine allgemeine psychologische Eigenschaft des Weibes in übertriebener Form“ (ebd. S. 119).
Auch die Analytiker verstanden sich in vielen Fällen als Opfer der aggressiven Sexualität ihrer Klientinnen. Einige Herren der ersten Stunde scheinen diesen „Angriffen“ nicht viel entgegengesetzt zu haben. C.G.Jung erliegt den „Liebesattacken“ seiner Patientin Sabina Spielreins, Otto Groß schläft gleich mit drei Frauen: Einer verhilft er später zum Selbstmord, eine zweite wird psychotisch und bringt sich ebenfalls um, die dritte verläßt er, als sie schwanger wird, und ermutigt auch sie, ihrem Leben ein Ende zu setzen. Damit nicht genug! Auch von Otto Rank und Rene Allendy, dem Gründer der französischen psychoanalytischen Gesellschaft, ist bekannt, daß sie ihre Klientin Anais Nin mißbrauchten. Sandor Ferenczi schlief mit seinen Patientinnen und Ernest Jones mußte gar aus den USA nach Kanada fliehen, weil er als Kinderpsychiater mehrere kleine Patienten
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