Wenn Die Seele Verletzt Ist

bei der seelischen Gesundung. Den Nutzen einer Analyse habe ich selbst durch eine Therapeutin genossen, die mich einige Zeit lang liebevoll auf meinem Weg begleitete und mir den Freudschen Kosmos erschloß. Daß ich fast alle Werke Freuds begeistert verschlang und meine Abschlußarbeit über die Psychoanalyse schrieb, sei nur nebenbei erwähnt.
    Heute ist die Tatsache, daß Kinder sexuell mißbraucht und in ihrer Entwicklung geschädigt werden, in Deutschland kein Tabuthema mehr. Doch daß viele schwerwiegende Symptomkomplexe wie zum Beispiel auch das Borderline-Syndrom und die Somatisierungsstörung auf einer Traumatisierung in der Kindheit basieren, scheint auch heute noch Spezialwissen zu sein. Neben der allgemeinen Amnesie der Therapeuten sind in Deutschland jedoch Zentren entstanden, die sich hochqualifiziert der Aufgabe widmen, traumatisierten Menschen zu helfen. Die Wartezeit auf einen freien Platz beträgt durchschnittlich bis zu acht Monaten, was beweist, daß es einen hohen Bedarf an qualifizierten Helfern und Therapeuten gibt.
     
    Warum befassen sich nicht mehr Kollegen mit diesem doch so wichtigen Thema? Bessel van der Kolk stellt in seinem Buch zur Diskussion, daß die Amnesie bezüglich des Traumas möglicherweise ihren Ursprung darin habe, daß wir uns eingestehen müßten, unser Schicksal nicht beherrschen zu können. Trauma konfrontiert uns mit der Möglichkeit des eigenen Kontrollverlusts, mit der Möglichkeit, machtlos und ausgeliefert zu sein. Dieses Gefühl ist schwer zu ertragen, denn es stellt sich die Frage, ob es auf diesem Planeten überhaupt Sicherheit gibt und wo sie gefunden werden kann. Auf diese Frage muß sicher jeder Mensch seine eigene Antwort finden.
     
     
    Die Ursachen von Traumata
     
    Alle Menschen kennen Situationen die sie als belastend empfinden, möglicherweise als extrem belastend. Obwohl der einzelne die Belastung als äußerst quälend wahrnimmt, muß er dennoch nicht zwingend auch traumatisiert sein. Was unterscheidet eine belastende Lebenssituation von einem Trauma?
    Dazu ein Beispiel:
    Stellen Sie sich vor, Sie fahren Ski, stürzen und brechen sich ein Bein. Es ist heller Tag, Sie haben Ihr Handy bei sich, es gelingt Ihnen, es aus der Tasche zu ziehen und Hilfe zu rufen. Kurze Zeit später werden Sie ins Krankenhaus transportiert.
    Auf Krisen reagiert unser Körper autonom, indem er das Hormon Adrenalin ausschüttet, was unseren Organismus befähigt, entweder zu flüchten – uns der Situation zu entziehen – oder zu kämpfen, also aktiv auf die Situation zu reagieren – fight or flight. In unserem Beispiel wurden Sie aktiv, Sie ergaben sich nicht einfach Ihrem Schicksal, sondern nutzten Ihre Möglichkeiten, um Ihr Leben zu retten. Sie haben eine belastende Lebenssituation erlebt und gemeistert.
    Wiederholen wir unsere Wintersportgeschichte:
     
    Sie fahren Ski, stürzen und brechen sich ein Bein. Es ist bereits dämmrig, Sie haben kein Handy bei sich und können keine Hilfe holen. Sie rufen und schreien, ohne daß Sie jemand hört. Es wird immer kälter und dunkler und es wird Ihnen klar, daß Stunden vergehen können, bis es irgend jemandem auffällt, daß Sie fehlen. Sie realisieren, daß Sie erfrieren könnten.
    Sie erleben eine traumatische Situation, in der Sie nicht mehr fähig sind, sich und Ihre Umwelt zu kontrollieren. Sie befinden sich hilflos und ohnmächtig in einer ausweglosen Situation, in der weder Kampf noch Flucht möglich ist – in einer „traumatischen Zange“. Wenn Sie überleben, kann es sein, daß Ihr Selbstverständnis, Ihre Autonomie, Ihr Weltbild und möglicherweise auch Ihr Glaube dauerhaft erschüttert sind. Obwohl Ihr Körper wieder Adrenalin zur Verfügung stellt, können Sie im Gegensatz zur ersten Version weder flüchten noch können Sie aktiv werden und kämpfen – no fight, no flight! Viele Betroffenen beschreiben nach einer ähnlichen Situation eine Art von emotionaler Erstarrung, so als befänden sie sich unter einer Käseglocke. Sie nehmen nur noch einzelne Aspekte des Erlebnisses wahr und sind nicht mehr in der Lage, ihre Situation zusammenhängend zu begreifen, geschweige denn sie zu verbalisieren. Die englischen Schlagworte dazu heißen: freeze and fragment. Je nach Schwere des Ereignisses können die „Erinnerungssplitter“ so weit verdrängt werden, daß das Erlebnis in seiner Ganzheit nicht mehr erinnert wird.
    Ein Trauma ist also ein Ereignis, das den Menschen unvorbereitet und meist plötzlich überfällt, ohne