Wenn Die Seele Verletzt Ist
daß der Betroffene etwas dagegen tun kann. Er wird von der Situation völlig überfordert und fühlt sich ihr ausgeliefert. Sein Leben ist objektiv oder nach seiner subjektiven Einschätzung in Gefahr. Ein solches Trauma nennen wir in der Fachsprache ein traumatisches Einzelereignis, weil es sich um ein einmaliges Ereignis handelt und der Betroffene klar zwischen der Zeit davor und der Zeit danach unterscheiden kann. Auch Gewaltverbrechen, Verkehrsunfälle und plötzliche Todesfälle gehören in diese Kategorie.
Wenn sich traumatische Einzelereignisse zum Beispiel als Folge von Kriegen mit allen Begleiterscheinungen für die Soldaten und die betroffene Zivilbevölkerung häufen, sprechen wir von einer mehrfachen Traumatisierung. Die durch den Zweiten Weltkrieg gesetzten Traumata prägten das Seelenleben und damit das Familienleben mehrerer Generationen. Doch wir müssen gar nicht so weit zurückschauen. Vielen von uns werden die Bilder der völlig verängstigten Kinder aus dem Kosovo noch im Gedächtnis sein, die im nicht enden wollenden Flüchtlingstreck nach Mazedonien zogen. Heute sind es die Bilder aus dem Irak und dem Sudan, die uns zeigen, wie erbarmungslos Kriege traumatisieren. Bei solchen Katastrophen wie auch bei Terroranschlägen und Naturkatastrophen sprechen wir von einer kollektiven Traumatisierung, da viele Menschen ein ähnliches Schicksal erleiden.
Es gibt aber auch Erlebnisse, die, wenn sie einzeln auftreten, zwar belasten, aber keine bleibenden Folgen hinterlassen. Traumatisierend wirken sie erst dann, wenn sie sich ständig wiederholen. Obwohl die schlimme Situation bereits erwartet wird, schädigen serielle Traumaerfahrungen genauso wie das Einzelereignis. Von seriellen Traumaerfahrungen sind vor allem Kinder, aber auch Erwachsene betroffen, die wiederholten psychischen und/oder körperlichen Mißhandlungen in ihren Familien oder ihrem näheren Umfeld ausgesetzt oder die vernachlässigt werden. Auch eine unklare, doppeldeutige Kommunikation, die dem Menschen ständig den Eindruck vermittelt, nicht richtig wahrzunehmen und zu fühlen, wirkt auf die Dauer traumatisierend (Bateson, Ökologie S. 264). Die von einem solchen Beziehungstrauma Betroffenen kennen keine traumafreie Lebensperiode. Der sexuelle Mißbrauch an Kindern gehört leider meist auch zu den seriellen Traumaerfahrungen. Er nimmt in diesem Komplex insofern eine Sonderstellung ein, als auch einmalige sexuelle Gewalt ein Kind bereits traumatisiert. Durch die ständige Wiederholung wird diese Erfahrung keinesfalls abgeschwächt, im Gegenteil, je länger ein Mißbrauch dauert, um so schwerer nimmt die Seele Schaden (siehe dort).
Unserer Meinung nach gehören die Grausamkeiten des Arbeitslebens ebenfalls zu den seriellen Traumaerfahrungen. Mobbing ist zu einem ernst zu nehmenden volkswirtschaftlichen Schadensfaktor geworden. Viele Arbeitnehmer, Angestellten aber auch Manager reiben sich in solchen Situationen gesundheitlich und psychisch völlig auf. Einer unserer Klienten unternahm auf Grund einer schlimmen Mobbingsituation einen Suizidversuch, einen anderen konnten wir gerade noch davor bewahren.
Auch in Schulen greift Mobbing deutlich um sich. Es vergeht kaum ein Tag, an dem man in großen deutschen Zeitungen nicht von Übergriffen älterer Jugendlicher auf Jüngere lesen kann. Da die ersten Lehrer wegen unterlassener Hilfeleistung verurteilt wurden, sind sie heute eher bereit, die Klagen der Kinder nicht einfach als „Petzen“ abzutun, sondern ernst zu nehmen. Der zwölfjährige Sohn einer Klientin wurde monatelang von einer Gruppe Jugendlicher gequält. Die Jungen schlugen ihn, steckten seinen Kopf in die Toilette und drohten Schlimmeres an, wenn er seinen Eltern etwas sagen würde. Die Mutter schrieb den Wunsch ihres Sohnes, beim Duschen die Badezimmertür hinter sich abzuschließen, der nahenden Pubertät zu. Sie konnte nicht ahnen, daß er Angst hatte, sie könnte Fragen wegen seiner vielen Prellungen stellen. Erst als der Junge schwere körperliche Symptome entwickelte, kam durch eine ärztliche Untersuchung zum Entsetzen der Eltern die ganze schlimme Wahrheit ans Licht. Wenn Kinder plötzlich Ängste entwickeln, morgens Bauchschmerzen haben oder andere Gründe finden, um nicht in die Schule zu müssen, muß es sich nicht unbedingt um ungeliebte Fächer oder Lehrer oder Leistungsdruck handeln. Ich rate allen Eltern, das Umfeld ihres Kindes sorgfältig zu prüfen, um auszuschließen, daß es von anderen terrorisiert
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