Wenn Die Seele Verletzt Ist
oder Hormone, sondern agierende, aktive Wesen mit der Freiheit der individuellen Entscheidung. Ein Weg der Besserung oder gar der Heilung beginnt damit im Bewußtsein.
Traumatisierung in der Kindheit
Heute sind sich die Experten darüber einig, daß eine Traumatisierung in der Kindheit große Gefahren birgt, einen Menschen auf lange Zeit, bisweilen lebenslang zu schädigen. Dies können wir inzwischen wissenschaftlich nachweisen. Durch die Kenntnis der physiologischen Prozesse werden wir noch weniger Gefahr laufen, die Symptome von traumatisierten Menschen als „individuelle Defizite“ zu interpretieren.
Die neurophysiologischen Wirkungen von Trauma auf Kinder
Der Artikel von Volkmar Suhr hat Sie bereits mit den physischen Folgen des Traumas vertraut gemacht. Trauma hinterläßt nicht nur seelische Spuren; es bildet sich auch im Körper ab. Es zeigte sich, daß das Gehirn immer gleich reagiert, ganz egal was ein Mensch erfahren hat. Außerdem wurde deutlich, daß diese Prozesse autonom ablaufen, also nicht willentlich vom Einzelnen gesteuert werden können.
Wenn Menschen lange Zeit unter traumatischem Streß stehen, wird das Verarbeitungssystem im Limbischen System übermäßig empfindlich und es kommt zu einer automatisierten Amygdala-Reaktion, das heißt, daß selbst geringe Reize eine der traumatischen Situation entsprechende emotionale Reaktion hervorrufen. Dieses Phänomen wird „Kindling-Phänomen“ genannt (to kindle – anfachen). Der Prozeß kann sich verselbständigen und bereits vorhandene Symptome verstärken.
Hinterläßt traumatischer Streß schon bei Erwachsenen destruktive Spuren, kann die Wirkung auf Kinder oder gar Säuglinge fatal sein. Ein Kind spiegelt die Welt, in der es aufwächst; sein Umfeld gibt dem sich entwickelnden Gehirn die entscheidenden neurobiologischen Voraussetzungen für eine gesunde Reifung. Jeder Mensch hat von Geburt an ein voll funktionstüchtiges Amygdala-System, wogegen sich das Hippocampus-System erst im Laufe der ersten drei Lebensjahre ausbildet, in denen das Gehirn besonders erfahrungsbereit ist. Nervenverbindungen entwickeln sich nur, wenn sie immer wieder angeregt werden. So ist die Entwicklung bestimmterpsychischer Fähigkeiten wie zum Beispiel Feinfühligkeit und Mitgefühl abhängig von der Bindungserfahrung des Kindes. Werden diese Nervenverbindungen nicht stimuliert, weil ein Kind vernachlässigt oder exzessivem Streß durch Mißhandlungen ausgesetzt wird, können sie zugrunde gehen.
Wenn die traumatischen Reize in der Überzahl sind, kann es zu einer dauerhaften, nicht reversiblen Schädigung des kindlichen Gehirns kommen. Das Kind wird sich grundsätzlich anders entwickeln, als wenn es dem Trauma nicht ausgesetzt gewesen wäre. Der Mannheimer Psychiater Dr. Manfred Laucht bestätigt, daß alle Funktionsbereiche benachteiligt sind „von der motorischen bis hin zur sozial-emotionalen Entwicklung“ (Laucht in Hellbrügge S.56). Andauernder Streß bewirkt bei Kindern eine chronische Übererregbarkeit auf Grund ständiger Überschwemmung des Organismus mit Adrenalin und einer Hemmung der Aufnahme von Serotonin (Amygdala-Reaktion). Wir erinnern uns, daß sich der Mangel an Serotonin auch als Feindseligkeit und Aggressivität äußern kann. Traumatisierte Kinder fühlen sich ohnmächtig und ausgeliefert und befinden sich in einem Zustand ständiger Erregung. Sie sind nervös und können sich schlecht konzentrieren. Darüber hinaus verlieren sie die Fähigkeit, äußere Reize angemessen zu beurteilen. Auf Situationen, die dem Trauma auch nur entfernt ähnlich sind, also immer dann, wenn sie sich ausgeliefert fühlen, reagieren sie ängstlich oder aggressiv. Das trifft auf viele Situationen in der Schule zu. Es ist durchaus möglich, daß diese Kinder Gefühle wie Empathie oder Mitgefühl überhaupt nicht empfinden können. Nur so ist zu erklären, daß Kinder ihre Spielgefährten einer Jacke oder ein Paar Turnschuhen wegen mißhandeln oder gar umbringen und dabei weder ein Unrechtsbewußtsein noch Reue zeigen. Und wenn wir an die politische Situation im Nahen Osten denken, wird uns vielleicht klarer, warum es vor allem die palästinensischen Jugendlichen sind, die sich freiwillig in die Luft sprengen.
Selbstvertrauen oder Vertrauen in die Umwelt kann ein solches Kind nicht entwickeln. Die einzige Möglichkeit, die ihm bleibt, besteht darin, alle Emotionen auszuklammern, die es an das Trauma erinnern könnten. Diese Abspaltung, die
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