Wenn Die Seele Verletzt Ist
integrative Wege auf. Einer davon ist die systemisch orientierte Herangehensweise. Auch der bereits erwähnte Traumatherapeut Peter Levine erinnert mit Nachdruck an die zu aktivierenden Selbstheilungskräfte des Körpers. Er geht ebenso wie viele andere Praktiker davon aus, daß sich die hormonelle Schräglage wieder harmonisieren kann (vgl. Sautter&Sautter, 2004, Skript zur Fortbildung; Levine, 1997, S. 191ff).
Gefühl der Sprachlosigkeit
Ein typisches Symptom infolge einer Traumatisierung ist die mangelnde Fähigkeit, das Geschehen zu schildern. „Es“ scheint unaussprechlich. Das Quälende für die Betroffenen ist jedoch die Tatsache, daß ein Trauma wiederholt emotional durchlebt aber dadurch nicht aufgelöst wird. Sie befinden sich in einem Zustand des bewußten sinnlich spürbaren Durchleidens bei gleichzeitiger Begriffslosigkeit. Das System gerät unter Druck und der „Abfluss“ ist verstopft. Diese psychische Befindlichkeit findetihre neuropathologische Entsprechung in der durch das Trauma selbst bereits ausgelösten Überbeanspruchung der Amygdala, der Schrumpfung des Hippocampus durch die Überflutung durch Streßhormone und die Minderfunktion eines der Sprachzentren (Broca), so daß wir als eine Traumafolge die bereits beobachtete „Sprachlosigkeit“, bzw. die Unfähigkeit, Gefühle zu formulieren, beobachten können.
Auch mangelnde Impulskontrolle sowie Gedächtnisprobleme können in diesem Zusammenhang neuroanatomisch belegt werden. Das Phänomen, welches sich hinter diesen Prozessen zu verbergen scheint, wird als Lateralisierung bezeichnet, das heißt, daß bei einer Traumakonfrontation eine Hemisphäre stärker und die andere schwächer beansprucht wird. Die für Emotionen zuständige rechte Hemisphäre reagiert stark, das volle Spektrum der Gefühle wird durchlebt und die linke Hemisphäre, welche die Eindrücke eigentlich analytisch betrachten und ordnen sollte, drosselt ihre Funktion. In dieser befinden sich jedoch auch die Sprachzentren. Besonders das Broca-Zentrum ist für das Finden von Begriffen zuständig. Es entsteht die bereits weiter oben erwähnte Situation des vollen Erlebens bei gleichzeitiger Unfähigkeit der Beschreibung. Der Betroffene ist neurologisch sprachlos (vgl. Tölle, Windgassen, 2003, S. 37ff; Fischer, Riedesser, 2003, S. 118, 120ff, 149; van der Kolk et.al., 2000, S. 169ff, 181, 195ff, 216f, 221ff).
Das Gedächtnis – vom Speichern und Vergessen
Ein weiteres Symptom traumatisierter Menschen sind mehr oder minder ausgeprägte Konzentrationsstörungen und damit verbundene Lern-als auch Speicherschwierigkeiten. Es fehlt ganz offensichtlich die hormonell bedingte innere Ruhe. Zuweilen können sich die Augen noch nicht einmal auf das Lesen eines Textes einstellen, ein klares Indiz für das andauernde und krankhafte Verharren in einem Streßmodus, bei dem die Augen auf die weitere Umgebung gerichtet sind, was zur Sicherung des Überlebens notwendig und richtig ist. Lernvorgänge werden unter solchen hormonell-psychischen Notsituationen jedoch fast unmöglich. Aber nicht nur das Aufnehmen von neuen Informationen, sondern auch der Umgang mit bereitsabgespeicherten Erinnerungen ist bei traumatisierten Menschen zum Teil beeinträchtigt. Erinnerungen und damit verbundene Gefühle führen ein zuweilen quälendes Eigenleben. Wenn sie auftauchen, ziehen sie die gesamte Aufmerksamkeit auf sich und lassen keine andere Beschäftigung zu. Der Organismus wird regelrecht besetzt. Das Gehirn reagiert hierbei nicht sonderlich differenzierend. Auf neuronaler Ebene wird nicht zwischen einem erinnerten und einem gerade tatsächlich stattfindenden Trauma unterschieden (van der Kolk, 2000, S. 216).
Hinzu kommt, daß an Posttraumatischer Belastungsstörung leidende Menschen zweierlei Tendenzen haben, welche diametral zueinander stehen: Sie neigen zum exzessiven Erinnern oder zu extremem Vergessen. Es scheint hierbei, als ob traumatische Erinnerungen anders verschlüsselt werden als gewöhnliche Erinnerungen. Die Erinnerung an die traumatischen Inhalte ist und bleibt auch nach Jahren unverändert und manchmal vordergründig, so daß andere Dinge vergessen werden bzw. Neues gar nicht erst Zugang ins Gedächtnis findet. Andererseits kommt es vor, daß traumatische Erlebnisse dem Bewußtsein nicht mehr zugänglich sind. Solche Amnesien werden offenbar durch eine Zunahme an körpereigenen, Schmerz reduzierenden Opioiden hervorgerufen. Die natürliche Abwehrreaktion des
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