Wenn Die Seele Verletzt Ist
dem Kind hilft, das Trauma zu überleben, ist beimjugendlichen und Erwachsenen der wesentliche Faktor, der zu Symptombildung führt.
Vernachlässigung
Durch die Untersuchungen von Spitz und Bowlby wissen wir heute, wie schlimm sich eine Vernachlässigung auf Kinder auswirkt. Im Lehrbuch (Engfer in Egle, S. 25) lesen wir folgende Definition: „Kinder werden vernachlässigt, wenn sie von Eltern oder Betreuungspersonen unzureichend ernährt, gepflegt, gefördert, gesundheitlich versorgt, beaufsichtigt und/oder vor Gefahren geschützt werden.“ Die Entwicklungspsychologin Emmy Werner identifizierte die Kombination von Armut und Kinderreichtum als eine der Hauptursachen für Vernachlässigung. Die Berichte und Reportagen über die Straßenkinder in Südamerika und Rumänien, die Jugendbanden in den Slums der USA, die Kinder in den Kriegsgebieten dieser Erde und die an Bordelle verkauften Kinder in Südostasien machen uns täglich auf diese Tatsache aufmerksam. Wir wissen jetzt, daß Trauma von Eltern an ihre Kinder weitergegeben wird. Deshalb lassen Sie uns einen kurzen Blick in die Geschichte unseres Landes tun, und zwar in die letzten hundertfünfzig Jahre, die Zeit der beginnenden Industrialisierung.
Neue Erkenntnisse in Medizin und Hygiene führten zu einer rapiden Abnahme der Sterblichkeit, die Einführung der Fruchtwechselwirtschaft und der künstlichen Düngung zur besseren Ernährung der Bevölkerung; die früher periodisch auftretenden Hungersnöte gehörten der Vergangenheit an, zumal der wachsende transatlantische Warenverkehr auf Segelschiffen in Notfällen für Ausgleich sorgte. Die Abschaffung der Heiratsbeschränkungen für Abhängige und Mittellose in Preußen (1807) sorgte dann für eine wahre Bevölkerungsexplosion: Zwischen 1800 und 1860 verdoppelte sich die Einwohnerzahl des vorwiegend agrarischen Landes.
Da die vielen kleinen Bauernhöfe die wachsende Zahl ihrer Bewohner nicht mehr ernähren konnten, wanderten viele in die Städte ab, wo die Maschinen ihren Einzug gehalten hatten. Die Fabriken brauchten Arbeitskräfte, doch nicht so viele, wie sich bald anboten. So sanken die Löhne, und baldwurden die Arbeiter so schlecht bezahlt, daß sie nur überleben konnten, wenn ihre Familien mitarbeiteten, vor allem ihre Frauen und Kinder, die für noch geringeren Lohn zu haben waren. Der Arbeitstag umfaßte 15 Stunden und zwar an sieben Tagen in der Woche!
Die kleinen Handwerksbetriebe, vor allem die Webereien und Spinnereien, die in Heimarbeit betrieben wurden, arbeiteten nicht mehr rentabel, da ihre Erzeugnisse von den Maschinen viel billiger hergestellt werden konnten. Die schlesischen Weber versuchten sich 1844 mit einem Aufstand zu wehren, ohne die Verhältnisse ändern zu können. Not und Elend in diesen Familien waren unvorstellbar. Vor allem traf es die Kinder, die, ständig unterernährt, eine leichte Beute von Krankheiten wurden. In meiner eigenen Ahnenreihe starben in der Zeit von 1862 bis 1895 zehn der elf Kinder einer Weberfamilie an Tuberkulose, der Krankheit der Armen.
In unserer Familienchronik steht über das Schicksal der Familie Franz Arnold Wüllenweber, daß man den Vater, der als Meister im Hammerwerk Wiebach tätig war, 1829 für einen Stahldiebstahl verantwortlich machte und fristlos entließ, so daß die Familie brotlos wurde. Später stellte sich heraus, daß sein Neffe der Schuldige war. „Es beginnt für die Familie eine böse Zeit. Sie findet auf dem benachbarten Hof Karnstein eine Unterkunft und schlägt sich notdürftig durch: Mutter und Tochter spinnen Garn für die Tuchfabrikanten in Lennep und Hückeswagen, Josua, damals neunjährig, hütet bei den Bauern die Kühe und spult nachts und im Winter Kettengarn. Der Vater fertigt hölzerne Harken an und geht hausierend über Land. Um seine trostlose, unverschuldet über ihn gekommene Lage für den Augenblick zu vergessen, greift er immer öfter zum Alkohol! Einzig die Mutter bleibt zuversichtlich und schöpft aus ihrem Glauben immer neue Kraft. 1831 bessert sich die Lage endlich. Der Vater findet im Hammerwerk des Herrn Reusch in Hoffnungsthal bei Volberg eine neue Anstellung, wohin ihm seine Familie im nächsten Jahr folgt. Ein überraschender Wassereinbruch in die Absetzkammer des Hammers zwingt den 63jährigen dann zu einem gewagten Sprung, durch den er sich einen Beinbruch zuzieht und für dauernd arbeitsunfähig wird“ (Familienchronik, Peter Güllekes, S. 78)
1839 wurden in Preußen die ersten sozialen
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