Wenn Die Seele Verletzt Ist
Auswirkungen eines eigenen Traumas in der Paarbeziehung. Außer auf eigene Erfahrungen beziehen wir uns auf die Werkstattberichte der „Münchner Sprechstunde für Schreibabys“, wo man sich mit der Weitergabe der mütterlichen Traumatisierung in der frühen Kindheit befaßt, und auf die Erfahrungen der New Yorker Therapeuten mit Familien nach dem 11. September 2001. Das Kapitel über die Auswirkung von Traumata auf die Paarbeziehung stützt sich vor allem auf unsere eigenen therapeutischen Erfahrungen mit vielen hundert Klienten in der Paartherapie und den systemischen Aufstellungen.
Auswirkung auf die Eltern-Kind-Beziehung
Immer wieder kommen junge Mütter in die Praxis, die, obwohl sie sich so sehr auf ihr Baby gefreut haben, von unerklärlichen aggressiven oder depressiven Gefühlen überfallen werden. Einige klagen darüber, daß sie ihr Kind nicht wirklich lieben können oder die Tochter viel weniger schätzen als den Sohn. Andere berichten von großen Spannungen mit der eigenen Mutter. Viele haben plötzlich Schwierigkeiten in der Partnerschaft. Alle sind ratlos und verzweifelt, weil sie überhaupt nicht verstehen, warum sie nicht zufrieden und glücklich sind.
Wir kennen inzwischen die Wirkung von Triggern. So können wir uns sicher vorstellen, daß so intensive Erlebnisse wie eine Geburt und die Sorge für einen Säugling Trigger erster Güte sein können, wenn die Schwangerschaft der Mutter und/oder die eigene frühe Kindheit belastet waren. Außerdem wird aus dem Mann plötzlich ein Vater und aus der Frau eine Mutter. Alle Erlebnisse, die Männer und Frauen mit ihren Vätern und Müttern hatten, werden durch ein eigenes Kind wachgerufen. Deshalb geht es nach der Geburt des ersten Kindes bei den Eltern nicht nur um die natürlichen Anpassungsprozesse an die Bedürfnisse des Säuglings, sondern auch um die Auseinandersetzung mit der eigenen Kindheit.
Wir wissen von Rene Spitz und Anna Freud, daß sich ein Kind bis zu seinem zweiten Geburtstag nicht von seiner Mutter unterscheiden kann; es fühlt sich als Teil der Mutter und partizipiert an ihren Gefühlen. Dies gilt natürlich auch für Traumata. Da es nicht möglich ist, ein Trauma nicht zu kommunizieren, gibt jede Mutter – ob sie will oder nicht – ihre Erfahrungen an ihr Kind weiter. Die Begründerin der Eltern-Säuglings-Psychotherapie Selma Fraiberg beschreibt dieses Phänomen: „In jedem Kinderzimmer gibt es Gespenster. Sie sind die Besucher aus der nicht erinnerten Vergangenheit der Eltern, die ungeladenen Gäste bei der Taufe. Unter günstigen Umständen werden diese unfreundlichen und unerbetenen Geister aus dem Kinderzimmer verbannt, sie kehren in ihre unterirdische Bleibe zurück. Das heißt nicht, daß die Gespenster aus ihrer Grabstätte nicht auch Unheil ersinnen könnten. In einem unbewachten Augenblick können die Eindringlinge aus der Vergangenheit in den magischen Kreis eindringen, und Mutter und Kind finden sich dabei wieder, einen Moment oder eine Episode aus einer anderen Zeit mit anderen Akteuren erneut in Szene zu setzen.“ (Fraiberg in Hellbrügge, 1980).
Die Gespenster können sich bereits in der Schwangerschaft melden. Die werdende Mutter erinnert sich unbewußt an ihre eigene fötale Zeit. Wurde sie abgelehnt oder plante ihre Mutter gar, sie abzutreiben, kann sie von Ängsten und depressiven Gefühlen heimgesucht werden. Diese Ängste teilen sich ihrem Ungeborenen mit, und der damit verbundene Streß bewirkt eine Unterversorgung mit Sauerstoff. Der Fötus erlebt Angst und Anspannung. Nach der Geburt sind solche Kinder oft überreizt, schreien viel und finden nur schwer Ruhe im Schlaf. Wenn die Mutter als Baby ebenfalls viel geschrien hatte, wird sie durch das Weinen ihres Kindes angetriggert. Sie fühlt sich überfordert, ist zutiefst frustriert und tut das, was sie als Traumaopfer gelernt hat: sie schaltet ab. Damit entsteht ein Teufelskreis aus der Übererregung des Kindes und der darauf folgenden Dissoziation der Mutter. Das Kind fühlt sich verlassen, schreit noch mehr, worauf die Mutter sich innerlich noch weiter entfernt. In einigen Fällen lassen sich Mütter dazu hinreißen, ihr Kind ebenfalls zu vernachlässigen oder sogar zu mißhandeln. Durch die Dissoziation der Mutter entsteht für das Kind ein Doublebind: Die Mama ist, obwohl körperlich anwesend, nicht da. Das Baby spürt ihre Abwesenheit, obwohl sie es anlächeln mag. Es kann darauf ebenfalls mit widersprüchlichen Verhaltensweisen reagieren,
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