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Wenn Die Seele Verletzt Ist

Wenn Die Seele Verletzt Ist

Titel: Wenn Die Seele Verletzt Ist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christiane Sautter
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glauben, daß sie nur dazu dienten, die Patienten ruhig zu stellen, daß sie die Persönlichkeit veränderten und unerträgliche Nebenwirkungen hätten. Außerdem meinen viele, daß Psychopharmaka süchtig machen. Einzig und allein die Psychotherapie könne helfen. Das entgegengesetzte Lager sieht die Sachlage häufig genauso einseitig. Hier wird jeder psychische Prozeß auf einen entgleisten Hirnstoffwechsel reduziert, den man mit Hilfe von Pillen wieder in den Griff bekommen kann.
    Wirklich fortschrittliche Therapeuten halten sich beide Möglichkeiten offen. Da wir wissen, wie sehr psychischer Streß in den Hirnstoffwechsel eingreift und daß diese Entgleisung chronisch werden kann, versuchen wir, das Problem auf mehreren Ebenen gleichzeitig anzugehen. Bei der Entscheidung, welche physischen Substanzen oder Medikamente dazu beitragen können, spielt die Schwere der Erkrankung eine ausschlaggebende Rolle. Bei leichteren Angst- und Erregungszuständen und bei milden depressiven Verstimmungen mögen Baldrian- oder Johanniskrautpräparate ausreichen. Auch gibt es geschickte Homöopathen, die ihr Handwerk wirklich verstehen und auch schwerere Erkrankungen positiv beeinflussen können. Doch sollte man dabei der eigenen Therapie kritisch genug gegenüberstehen und sich selbst ein Zeitlimit setzen, innerhalb dessen es dem Klienten wirklich besser gehen muß. Wir kennen leider zu viele Beispiele von Patienten, die durch die sorglose Haltung ihrer Therapeuten viele Jahre arbeitsunfähig wurden – mit allen sozialen Konsequenzen.
     
    Ein Klient, Manager einer größeren Firma, hatte zu viel gearbeitet und besuchte deswegen ein Fastenseminar. Es ging ihm dabei kontinuierlich schlechter, die Therapeuten sprachen von einer „Fastenkrise“ und rieten ihm, durchzuhalten. Sein Zustand verschlechterte sich weiterhin dramatisch, was die Therapeuten positiv als „Entgiftungsreaktion“ bewerteten und keinen Handlungsbedarf sahen. Kurz bevor er sich umbringen konnte, kam der Klient schwer depressiv in eine Klinik. Dort blieb er die nächsten sechs Monate. Seine Ehefrau fühlte sich dieser Belastung nicht gewachsen und trennte sich von ihm. Er verlor seinen Job, fand nach Verlassen der Klinik nie wieder Anschluß an seine frühere Gesundheit und lebt heute von der Sozialhilfe.
     
    Dies ist leider kein Einzelfall; wir könnten zahlreiche weitere Beispiele nennen. Daraus kann nur eine Konsequenz folgen: Wenn sich der Zustand eines Klienten während der Therapie verschlechtert, insbesondere dann, wenn er immer weniger in der Lage ist, seinen Alltag zu bewältigen, sollten wir keine Sekunde zögern, ihm eine ärztliche Behandlung zu empfehlen. Wir haben es möglicherweise mit einer psychischen Erkrankung zu tun. In einem solchen Zustand können Psychopharmaka ein Segen sein. Oft entsteht durch sie erst die Grundlage, auf der eine sinnvolle therapeutische Arbeit möglich ist. Schwer depressive Klienten kommen zum Beispiel gerne in die Therapiestunde und profitieren während dieser Stunde sehr davon. Kaum haben sie die Praxis verlassen, ist alles vergessen, und in der nächsten Sitzung ist alles so, als habe die letzte Stunde nie stattgefunden. So gibt es keine Fortschritte, was den Depressiven wiederum frustriert. Wirklich aufbauend arbeiten kann man erst nach der Einnahme und der Wirkung des Antidepressivums. Dazu ein Beispiel aus der Praxis:
     
    Eine Klientin kam wegen unüberwindlicher Prüfungsangst zu mir. Für sie sei es existentiell wichtig, das Examen zu bestehen, vor dem sie sich aber unglaublich fürchtete. Es war ihr nicht möglich, sich angemessen auf die Prüfung vorzubereiten. Schon allein der Gang in die Bibliothek wurde zu einer unüberwindlichen Herausforderung. Es war abzusehen, daß ihre Angst durchzufallen, berechtigt sein würde. Sie schaffte es nicht, sich durch Entspannungsübungen zu beruhigen, weil es immer genügend Ursachen gab, die sie aus der Bahn warfen. Nach drei Monaten, in denen sie nur wenige kleine Fortschritte erzielte, verwies ich sie an eine Psychiaterin, die ihr ein leichtes Antidepressivum verschrieb, das gleichzeitig angstlösend wirkte. Die Studentin empfand die Einnahme des Medikaments als Niederlage, konnte sich aber auch nicht mit der logischen Alternative anfreunden, sich mehr Zeit zu lassen und die Prüfung um ein Semester zu verschieben, was sie als unannehmbares völliges Versagen wertete. Also nahm sie das Medikament, beruhigte sich zusehends, fing an zu lernen und machte ihr Examen

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