Wenn Die Seele Verletzt Ist
nur gedämpft empfunden werden, wenn emotionale Signale überbewertet werden, wenn Nähe und Zuwendung mit Ohnmacht und Gewalt verknüpft sind, ist jede Beziehung zu anderen Menschen von vornherein belastet. Die Beziehung zum Lebenspartner, dem einzigen Menschen, den man so nahe an sich heranläßt, daß er die wunden Punkte unbeabsichtigt antriggern kann, wird deshalb als besonders schwierig empfunden. Je heftiger das Kindheitstrauma war, um so heftiger und häufiger verletzen traumatisierte Partner einander, ohne dies jedoch zu beabsichtigen und ohne es vermeiden zu können. Darin liegt zum einen die Schwierigkeit, zum anderen aber auch die große Chance einer solchen Verbindung. Wenn es beiden gelingt, die Verletzung als Hinweis auf ein eigenes Trauma zu verstehen und nicht mehr dem anderen anzulasten, können beide sich dabei unterstützen, ihre Kindheitskatastrophen aufzuarbeiten.
Nur sehr selten sucht sich ein traumatisierter Mensch einen nicht traumatisierten Partner: wir lieben, was wir kennen. Nach diesem Prinzip funktionieren Werbung und Charts. Deshalb finden sich traumatisierte Menschen gegenseitig attraktiv. Meist sind beide etwa gleich schwer belastet, was dieSachlage nicht gerade vereinfacht, denn bei fast jedem Paar in unserer Praxis begegneten wir einem besonderen Phänomen: Die Art und Weise, wie sich der eine vor Verletzungen schützt, widerspricht diametral der Schutzmethode, die der andere anwendet. Wenn also zum Beispiel die Frau in einem Elternhaus aufwuchs, in dem ihre Grenzen immer wieder verletzt wurden, sucht sie den Rückzug, um sich zu schützen. Wurde der Mann dagegen in seinem Elternhaus vernachlässigt und durch Schweigen bestraft, ist für ihn möglicherweise Kontakt das beste Mittel, um seine Spannungen aufzulösen. Bei einer Verletzung zieht sich die Frau zurück, der Mann hakt nach und fordert eine Aussprache. Dies triggert das Trauma der Frau an, wodurch sie emotional in katastrophale Zustände gerät. Sie versucht zu flüchten, was den Mann ebenfalls antriggert, der mit den ebenfalls katastrophalen Gefühlen seiner Verlassenheit zu kämpfen hat. Emotional regredieren beide auf das Alter, in dem das Trauma stattfand. Obwohl sich dem Alter des Körpers entsprechend zwei erwachsene Menschen gegenüberstehen, befinden sich emotional zwei traumatisierte Kinder im freien Fall. Gelöst wird bei einer solchen Auseinandersetzung nichts; es wird alles immer nur noch schlimmer.
Ein Paar, das uns in unserer Praxis aufsuchte, berichtete genau von diesem Problem. Der Mann zog sich bei Streitigkeiten zurück, die Frau hakte nach. Da beide nichts von dem Zusammenhang ihres Verhaltens mit ihren Kindheitstraumen wußten, versuchten sie, ihre Konflikte durch eine Steigerung ihrer Forderungen an den anderen zu lösen, was darin gipfelte, daß sich der Mann in sein Zimmer einschloß und die Frau von außen die Fensterscheibe einwarf, um den Kontakt unter allen Umständen zu halten.
Eine solche Situation ist für beide unerträglich. Häufig entlädt sich die katastrophale Spannung in Gewalt. Der Mann des oben beschriebenen Paars reichte nach diesem Vorfall die Scheidung ein. Obwohl beide durch die Therapie verstanden, was sie in die Krise getrieben hatte, konnte der Mann die bloße Möglichkeit eines weiteren Übergriffs nicht ertragen. Häufig sind Probleme mit der Sexualität der Grund, warum Paare in die Therapie kommen. Der Grund dafür muß keineswegs traumatisch sein,besonders wenn es eine Zeit gab, in der Sexualität lustvoll erlebt wurde. Meist geht es bei solchen Schwierigkeiten nicht eigentlich um die Sexualität, sondern darum, daß Konflikte nicht bearbeitet und Spannungen nicht gelöst wurden. Wenn diese Ursachen vom Paar bearbeitet werden, haben beide auch körperlich wieder Lust aufeinander.
Doch natürlich gibt es auch traumatische Ursachen, zum Beispiel im Falle von sexuellem Mißbrauch in der Kindheit. Da es sich bei den Betroffenen meist um Frauen handelt, behandeln wir das Thema aus weiblicher Sicht. Je nach Art und Schwere des Mißbrauchs und abhängig von ihrem Temperament gibt es hauptsächlich zwei typische Reaktionsweisen:
• passives Vermeiden von Sexualität
•aktives Demonstrieren von Macht über Sexualität
Die meisten Frauen versuchen Sexualität zu vermeiden. Einige gehen auf Nummer sicher und vermeiden jegliche Beziehung zu einem Mann, andere binden sich und versuchen mehr oder weniger geschickt, das Thema Sexualität auszuklammern. Meist ist
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