Wenn die Sinne erwachen - Teil 2 (German Edition)
Tag
abgetrotzt. Durchnässt und völlig erschöpft banden sich die Männer
von ihren Positionen los und begannen damit, den Schaden zu
begutachten, den der Sturm an ihrem Schiff angerichtet hatte. Nach
einer Stunde war klar, dass sie mit einem blauen Auge davongekommen
waren. Einige Gaffeln und Taue der Takelage hatten etwas abgekommen,
Wassereinbrüche im Schiffsrumpf mussten mühsam von Hand
ausgeschöpft werden und zwei 38-Pfünder-Kanonen waren von den
gewaltigen Brechern losgerissen und über Bord gespült worden waren.
Menschliche Verluste gab es keine. Der Sturm hatte jedoch auch etwas
Gutes: Die Decks, Aufbauten und der Schiffsrumpf waren von den
riesigen Wellen überspült und vom prasselnden Regen gereinigt
worden. Damit war auch die unausgesprochene Hoffnung verbunden, dass
sämtliche Krankheitserreger von Bord gespült worden waren.
Edan
ließ die Segel hissen und einen Kurs auf Havanna setzen. Bei der
steifen Brise, die der Sturm hinterlassen hatte, konnten sie es mit
etwas Glück in einem Tag bis nach Kuba schaffen. Er war gerade
dabei, die Mannschaft in Arbeitskolonnen einzuteilen, als ihm Captain
Pickett Ablösung signalisierte. Pickett hatte die letzten Stunden,
in denen der Sturm etwas nachgelassen hatte, in seiner Kabine
ausgeruht und bedeutete seinem ersten Offizier jetzt, das Gleiche zu
tun.
Edan verspürte jedoch keinerlei Drang in seine Kabine zu
gehen, obwohl er völlig erschöpft und ausgelaugt war. Er wusste,
dass er seit Tagen viel zu wenig schlief. In seinen Knochen steckte
bleierne Müdigkeit, doch sobald er die Augen schloss, begannen seine
Albträume. Da waren immer wieder die gleichen blutigen Bilder, die
schrecklichen Gefühle, die ihn grausam daran erinnerten, dass er aus
persönlicher Feigheit neunundfünfzig Männer in den Tod geschickt
hatte. Auch wenn er sie nicht alle selbst getötet hatte, so trug er
doch die Verantwortung dafür. Er hatte den Befehl ausführen lassen
und mitgetötet. Das Blut von neunundfünfzig, unschuldigen Männern
klebte an seinen Händen! Dafür gab es keine Entschuldigung und
keine Rechtfertigung. Zumindest nicht für sein Gewissen und auch
nicht für seine Seele.
Jetzt waren da nicht mehr
nur die bohrenden Blicke sterbender Männer, die er in Gefechten
getötet hatte, die ihm nachts den Schlaf raubten. Jetzt war da vor
allem sein eigenes Gewissen, das ihn kaum mehr zur Ruhe kommen ließ.
Er hasste diese grauenvolle Gefühle von Abscheu, Ekel und
Selbstverachtung, die ihn im Schlaf wie reißende Wölfe überfielen
und ihn schweißgebadet aufwachen ließen. Diese Gefühle waren
zersetzend und brannten heiß wie die Hölle. Wenn er wach war,
konnte er sie einigermaßen verdrängen, aber sie lauerten ständig
unter der Oberfläche, immer bereit hervorzubrechen, sobald seine
Kontrolle etwas nachließ. Sie schwächten ihn, zermürbten ihn,
kontrollierten ihn! Instinktiv mied er den Schlaf, beschränkte ihn
auf ein paar Stunden am Tag – mit der Folge, dass seine
Körperkräfte nachzulassen begannen.
Edan verachtete sich selbst
zutiefst. Wo war nur der Edan von einst geblieben? Der Edan, der
aufbegehrte, dessen Wutausbrüche gefürchtet waren, der sich
blindlings und ohne Angst in jede Prügelei gestürzt hatte, ohne
einen Gedanken an Konsequenzen und Folgen zu verschwenden. Was
haben diese fünf Jahre in der Royal Navy nur aus mir gemacht? ,
fragte sich Edan verbittert. Einen gehorsamen, blinden und tauben
Idioten, der die Verantwortung für sich und sein Handeln an einen
noch größeren Idioten abgegeben hatte!
Er wünschte sich zutiefst
und inbrünstig, das Rad der Zeit noch einmal zurückdrehen und alles
ungeschehen machen zu können. Er wünschte, er hätte lieber sein
eigenes erbärmliches Leben beendet, als das von neunundfünfzig
Männern, die nicht den geringsten Hauch einer Chance gehabt hatten!
Wenn er sie wenigstens im Kampf getötet hätte! Mann gegen Mann,
Auge in Auge. Stattdessen musste er jetzt mit dem quälenden Gedanken
leben, ein feiger Meuchelmörder zu sein. Verbittert schwor er sich,
sich niemals wieder so mißbrauchen zu lassen! Lieber würde er sich
von Pickett auspeitschen, vierteilen oder am nächsten Masten
aufknüpfen lassen! Nie wieder würde er unschuldige Menschen in den
Tod schicken – vorher brachte er dieses Schwein von Pickett lieber
eigenhändig um!
Edan fühlte wie bei diesem Gedanken seine Hände
zu zucken begannen. Er atmete tief durch und beschloss Picketts
Aufforderung zu folgen und sich für ein paar Stunden
Weitere Kostenlose Bücher