Wenn Die Wahrheit Stirbt
sich selbst hatte er einen schlichten Ring aus Weißgold gekauft und ihr versichert, der genüge ihm vollauf.
Als es an der Haustür klingelte, streckte Gemma sich und sagte: »Ich geh schon hin. Sicher hat nur irgendjemand was vergessen.«
Doch Wesley sprang sofort zur Tür, wobei er grinste und Duncan einen verschwörerischen Blick zuwarf. »Nein, ich mach das schon. Ruh du nur deine lädierten Füße aus.«
Aus der Diele waren Stimmen zu hören, und dann kam Wesley in die Küche zurück, den Arm lässig um die Schultern einer
jungen Frau gelegt - einer groß gewachsenen Frau mit rotbraunen Haaren, die OP-Kleidung trug.
Als Gemma sie erkannte, sprang sie lachend auf: »Bryony! Was machst du denn hier?« Bryony Poole war nicht nur ihre Tierärztin, sondern inzwischen auch eine Freundin. Und wie es aussah, hatte Wesley sie in letzter Zeit häufiger gesehen als Gemma, denn die Art und Weise, wie er sie hereinführte, hatte etwas eindeutig Besitzergreifendes gehabt.
»Alles Gute euch beiden.« Bryony umarmte Gemma und Duncan und deutete dann auf ihre blaue OP-Kluft. »Tut mir wirklich leid, dass ich in dem Aufzug hier erscheine. Ich hatte Nachmittagssprechstunde und konnte den Dienst nicht tauschen. Wesley hat mir schon Anfang der Woche von der Hochzeit erzählt, aber Gavin ist im Urlaub in Spanien, und deswegen konnte niemand für mich einspringen.« Gavin war Bryonys nicht übermäßig beliebter Chef. »Habe ich schon alles verpasst?«
»Nein, und auch Champagner ist noch da.« Gemma schenkte ihr ein Glas aus der Flasche ein, die noch im Kühler auf dem Tisch stand.
Bryony prostete Gemma und Duncan zu, bevor sie trank. »Auf das glückliche Paar!«
»Urlaub in Spanien ist wohl bei Tierärzten gerade hoch im Kurs«, meinte Gemma. Nachdem sie sich gesetzt und sich noch eine Tasse Tee eingeschenkt hatte, erzählte sie Bryony von ihren Ermittlungen gegen John Truman wegen seiner möglichen Verwicklung in den Mord an Naz Malik, allerdings ohne Trumans Namen zu erwähnen. »Wäre es für einen Tierarzt ohne Weiteres möglich, eine ausreichende Menge Ketamin abzuzweigen, um bei einem erwachsenen Mann einen Atemstillstand herbeizuführen?« Vor ihrem geistigen Auge sah sie plötzlich wieder Naz Maliks Leiche im Park, und die Erinnerung an den Fall überkam sie mit solcher Macht, dass ihr fast übel wurde.
»Nun ja, ein einziges Gramm davon kann schon tödlich sein. Man kann es in Flüssigkeit auflösen - unter anderem deswegen benutzen Vergewaltiger es gerne als K.o.-Tropfen -, aber eine so große Menge in einem Drink würde man vielleicht herausschmecken.« Bryony schwenkte ihren Champagner.
»Er hatte auch Valium im Blut.«
»Na bitte. Zuerst verabreicht man Valium als Relaxans und dann das Ketamin als dissoziatives Anästhetikum. Genauso, wie es der Anästhesist vor einer OP macht.«
»Der Anästhesist?« Kincaid wandte sich vom Spülbecken um.
»Ja, klar«, antwortete Bryony ein wenig überrascht. »Ketamin ist vor allem als Tierarzneimittel bekannt, aber Anästhesisten benutzen es auch. Es ist für die Straßendealer nur viel einfacher, das Zeug aus einer Tierarztpraxis zu stehlen als aus einem Krankenhaus.«
Kincaid stand da mit tropfenden Händen. »Ein Anästhesist. Ach du Scheiße.«
Betty drehte sich um, vielleicht geschockt über seinen Kraftausdruck, doch als Gemma sein Gesicht sah, hob sie um Ruhe bittend die Hand. Sie kannte diesen Ausdruck nur zu gut.
Wortlos reichte Betty ihm ein Geschirrtuch.
Doch Kincaid knüllte es nur zusammen, als hätte er keine Ahnung, wozu es gut war, und warf es dann weg, um sich die Hände an seinem guten Anzug abzuwischen. »Aber natürlich, verdammt noch mal. Wieso habe ich das nicht erkannt?«
»Was erkannt?« Gemma hatte das Gefühl, als wäre die Welt mit einem Ruck zum Stillstand gekommen.
Er wandte sich zu ihr um und fixierte sie. »Da steht ein Anästhesist auf dieser verdammten Liste. Alexander. Doug und ich haben ihn in Ritchies Club kennengelernt. Er kam auf uns zu und stellte sich vor. Er war einer von Sandras Kunden. Und Ritchie sagte etwas von einer sexualmedizinischen Beratungsstelle, die er unterstützt.«
»Rivington Street«, flüsterte Gemma. »O Gott. Die Praxis in der Rivington Street.« In ihrem Kopf begannen sich die Puzzleteile mit erschreckender Klarheit zusammenzusetzen. »Alia erzählte mir, dass Sandra sich dort engagiert hätte, und dann sagte sie etwas von einem Mr. Miles, der die Klientinnen nicht selbst berät, weil sie sich nur
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