Wenn Die Wahrheit Stirbt
einer Frau anvertrauen würden, aber ich habe die Verbindung nicht hergestellt.«
»Miles Alexander«, sagte Cullen. »So hieß er.«
Gemma spürte, wie ihr das Blut aus dem Gesicht wich. »Er arbeitet im Royal London. Mr. Alexander, der Anästhesist. Es muss derselbe Mann sein. Er hat meine Mutter behandelt, als sie ihren Port gelegt bekam. Mein Gott …«
»Wir haben ihn am Tag der Obduktion gesehen.« Kincaid begann in der Küche auf und ab zu gehen, und die anderen wichen ein wenig zur Seite, um ihm Platz zu machen. »Auf dem Flur vor der Leichenhalle, als wir zu Dr. Kaleems Büro gingen. Er muss an Kaleems Befunden interessiert gewesen sein. Ob Kaleem wohl irgendetwas übersehen hat?«
»Oder vielleicht wollte er auch nachsehen, ob er selbst irgendetwas übersehen hatte«, mutmaßte Cullen. »Kaleem sagte doch, ihm sei aufgefallen, dass Naz Maliks Handy nicht an der Stelle im Beweismittelbeutel war, wo er es hingelegt zu haben glaubte, erinnern Sie sich? Und an dem Tag, als er uns im Club über den Weg lief - hat er da herauszufinden versucht, was wir wussten?«
»Vielleicht«, sagte Kincaid. »Oder vielleicht war es auch nur die blanke Arroganz. Er ließ sich dazu herab, ein kleines Spielchen mit uns zu spielen.«
»Moment mal.« Melody hatte aufmerksam zugehört, aber nun schüttelte sie den Kopf. »Sie stellen da ziemlich gewagte Hypothesen auf.«
»Nein, es passt alles zusammen«, warf Gemma ein, mit einer Gewissheit, bei der es sie selbst eiskalt überlief. »Er kannte
Sandra, durch ihre Verbindung zu der Beratungsstelle, und wahrscheinlich sogar recht gut. Er hat ihre Arbeiten gekauft. Er hatte Zugang zu den Medikamenten, die für den Mord an Naz verwendet wurden, und das nötige Wissen, um sie einsetzen zu können. Über Lucas Ritchies Club dürfte er in Kontakt mit Truman gekommen sein, und vielleicht noch mit anderen Gleichgesinnten, die sich wie er für kleine Mädchen interessierten.
Die Frage ist: Wie hat Sandra die Verbindung zwischen der Geschichte des kleinen Mädchens aus Bangladesch und diesem Arzt hergestellt, den sie kannte und dem sie vermutlich vertraute?«
Betty trat vor; sie drehte das von Kincaid verschmähte Geschirrtuch in den Händen. »Ich versteh’ ja nicht, was ihr da von Mädchen und von Clubs erzählt. Aber ich glaube, was ihr sagen wollt, ist, dass die Mutter von unserer kleinen Charlotte tot ist, oder?«
»Ja.« Gemma rieb sich die plötzlich schmerzenden Wangenknochen und blinzelte, als ihr die Tränen in die Augen traten. »Ich glaube, ich habe von Anfang an gewusst, dass Sandra tot ist. Die Frage war immer nur, warum und wie sie gestorben ist. Und wer sie getötet hat.«
»Und der Vater«, fuhr Betty fort. »Mr. Naz? Ihr glaubt, dass derselbe Mann ihn umgebracht hat?«
»Charlotte hat mir erzählt, ihr Papa sei ihre Mama suchen gegangen, aber ich habe ihr nicht richtig zugehört. Vielleicht hatte Naz an dem Tag irgendetwas erfahren.Vielleicht ist er zu Alexander gegangen, um mit ihm zu reden. Vielleicht war er auf Informationen aus und wollte deshalb den Drink, den Alexander ihm anbot, nicht ausschlagen.«
»Das würde erklären, wo Naz in den fehlenden Stunden zwischen dem Verlassen seines Hauses und seinem Tod im Haggerston Park gewesen ist«, meinte Kincaid. »Wenn er zu Alexander
gegangen ist, könnte der ihn unter Drogen gesetzt und bis zum Einbruch der Dunkelheit im Haus behalten haben -«
»Und er hatte die Möglichkeit, ihn in den Park zu schaffen«, vollendete Gemma. Sie wandte sich an Bryony. »Wie lange dürfte es gedauert haben, bis die Wirkung der tödlichen Dosis Ketamin einsetzte?«
»Nicht lange. Und es wurde ihm wahrscheinlich gespritzt, da es schwierig gewesen wäre, einem bereits Bewusstlosen die Flüssigkeit einzuflößen.Vielleicht gibt es eine Einstichstelle unter der Zunge, die euer Rechtsmediziner übersehen hat. Hat der Täter versucht, einen Selbstmord vorzutäuschen?«
»Wenn ja, hätte er den Kopf in eine natürlichere Stellung drehen sollen, nachdem er zugesehen hatte, wie sein Opfer erstickte.« Der Gedanke an das, was Alexander getan hatte, machte Gemma ganz krank. »Vielleicht hat er jemanden kommen hören und sich ein bisschen zu früh aus dem Staub gemacht.«
Cullen hatte schon sein Handy gezückt und tippte etwas ein. Dann blickte er auf und sagte: »Miles Alexander wohnt in Hoxton. Ich habe gerade die Adresse überprüft. Es ist nur eine Straße weiter von John Truman. Und zehn Minuten zu Fuß zum Columbia-Markt.«
Gemma
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