Wenn Die Wahrheit Stirbt
Glauben schenken kann.« Ein selbstzufriedenes Grinsen breitete sich auf seinen Zügen aus. »Ich habe in den Akten gestöbert. In den vergangenen zehn Jahren hat er alle paar Jahre in Bangladesch oder in Thailand ein Mädchen - angeblich volljährig - geheiratet und anschließend nach Großbritannien mitgenommen. Jeweils nach ein oder zwei Jahren - vermutlich immer dann, wenn sie für seinen Geschmack zu ›alt‹ sind - reicht er die Scheidung ein, wobei er dem Richter stets versichert, dass er dem Mädchen Unterhalt zahlen wird, damit es dem Staat nicht zur Last fällt. Und so verschwindet das Mädchen aus dem System. Sehr geschickt.«
»Irgendwelche -«
Cullen schnitt Kincaid das Wort ab. »Und das Beste kommt noch. Es war jedes Mal dasselbe Gericht, und der Name des Richters steht auf der Mitgliedsliste von Lucas Ritchies Club.«
»Und war sein Anwalt derselbe, der ihn jetzt vertritt?«
Cullen überlegte kurz. »Ja, stimmt. Es war derselbe Typ.«
»Um was wollen wir wetten, dass der Name des Anwalts auch auf Ritchies Liste steht?«, fragte Kincaid, dessen Grinsen immer breiter wurde. Er kramte in den Papieren auf seinem Schreibtisch, fand die Liste und fuhr mit dem Finger an den Namen entlang, bis er den gesuchten gefunden hatte. »Halleluja!« Triumphierend blickte er zu Cullen auf. »Volltreffer. Ich wusste doch, dass sein Name mir bekannt vorkam. Kein Wunder, dass er so nervös gewirkt hat.«
»Wenn er einer von Alexanders Spielkameraden ist, dann wird er dem Himmel oder wem auch immer danken, dass er nicht in Alexanders Fotoalbum auftaucht.«
Kincaid sah auf seine Uhr. »Apropos Fotoalbum - Ritchie
dürfte jetzt im Club sein. Es wird Zeit, dass wir diese Fotos herumzeigen. Ich will nur -« Sein Telefon klingelte, und er brach ab, um den Anruf anzunehmen.
Es war der Empfang, der ihm mitteilte, dass eine Ms. Louise Phillips unten warte. »Jemand soll sie in mein Büro bringen«, sagte Kincaid. Er dachte sich, dass er sich lieber hier mit ihr unterhalten würde als in einem Vernehmungsraum.
»Es hat sich wohl schon herumgesprochen«, meinte er zu Cullen, und wenig später führte ein uniformierter Constable Louise Phillips herein.
Sie sah besser aus als bei ihrer letzten Begegnung; offenbar hatte sie sich nach dem Tod ihres Partners wieder einigermaßen gefangen. Aber sie roch immer noch nach Rauch, und ihre dunklen Augen blickten so durchdringend wie eh und je. Sie nahm auf dem Stuhl Platz, den Cullen ihr anbot, und kam gleich zur Sache. »Ich habe gehört, dass Sie jemanden verhaftet haben, der des Mordes an Naz verdächtigt wird - einen Anästhesisten namens Alexander.«
»Kennen Sie ihn?«, fragte Kincaid.
»Nein. Aber es gibt da etwas, was Sie wissen sollten. Ich komme im Auftrag meines Mandanten.«
»Azad?« Kincaid fragte sich, ob sie den Verdacht, Azad könne in den Kinderhandel verwickelt sein, zu Unrecht verworfen hatten.
»Mr. Azad war sehr bestürzt über den Mord an Naz. Er war jedoch der Meinung, dass er nichts sagen könne, solange er sich in der heiklen Lage befand, selbst unter Anklage zu stehen.«
»Wollen Sie etwa sagen, dass der Kronanwalt die Anklage fallengelassen hat?«
»Mr. Azads Neffe ist wieder aufgetaucht. Er hat nicht mehr die Absicht, gegen seinen Onkel auszusagen.«
»Bitte, ersparen Sie uns den Anwaltsjargon, Ms. Phillips«, sagte Kincaid entnervt. »Was wollen Sie uns sagen?«
Phillips legte die Hand auf ihre Tasche, als wollte sie nach einer Zigarette greifen, lehnte sich dann aber seufzend auf ihrem Stuhl zurück. »Also, es ist folgendermaßen. Azads törichter Neffe ist einem Ausbeuterring in die Hände gefallen, der in East Anglia operiert. Sie haben ihm das Blaue vom Himmel versprochen, und dann wurde er wochenlang in einer Hütte festgehalten und nur rausgelassen, um mit anderen Zwangsarbeitern auf den Feldern zu schuften. Kein anständiges Essen, kaum Wasser, keine Toiletten, keine ärztliche Versorgung - nicht einmal, als er sich eine schwere Schnittverletzung zuzog - und keinerlei Verbindung zur Außenwelt.
Aber vorgestern ist es ihm endlich gelungen, zu entkommen und per Anhalter nach London zurückzukehren. Er ist außer sich vor Freude, wieder im Haus seines Onkels zu sein, und findet jetzt, dass es das Paradies auf Erden ist, wenn er in der Restaurantküche Teller waschen darf. Er wird also kaum nach der Hand schnappen wollen, die ihn ernährt.«
»Nun, sein Onkel wird gewiss hocherfreut sein, dass sein Neffe unversehrt wieder aufgetaucht
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