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Wenn Die Wahrheit Stirbt

Titel: Wenn Die Wahrheit Stirbt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Crombie , Andreas Jäger
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es - das chaotische Treiben, das etwas heruntergekommene Ambiente, die Händler, die an ihren klapprigen Ständen alles Mögliche feilboten, von französischem Wein über Kisten voller Orangen (von denen die unterste Lage mit Sicherheit faul war) bis hin zu alten Autobatterien.
    Als sie an der Old Truman Brewery vorbeikamen, zerrte Charlotte an ihrem Arm. »Bus, Mami«, sagte sie und zeigte in Richtung Ely Yard. Auf dem Parkplatz hinter der Brauerei war ein alter roter Routemaster-Doppeldeckerbus in ein veganes Restaurant namens Rootmaster umgewandelt worden. Charlotte verstand das Wortspiel nicht, aber sie fand es ganz toll, auf dem Oberdeck zu essen.Wenn der Wind und die Schritte der Bedienung auf der engen Wendeltreppe den Bus ins
Schwanken brachten, dann kreischte Charlotte jedes Mal laut vor Begeisterung.
    »Nicht jetzt, Süße.« Sandra packte ihre Hand noch fester. »Bald treffen wir uns dort mit Papi. Und wenn wir in der Columbia Road sind, kaufe ich dir einen Muffin für später als Nachspeise.«
    Sie winkte ihren Freundinnen in dem Vintage-Kleiderladen zu, wo sie oft Material für ihre Collagen einkaufte, doch sie widerstand der Versuchung hineinzugehen. Im Schaufenster sah sie ein verzerrtes Spiegelbild ihres eigenen blonden Haarschopfs und von Charlottes Köpfchen - ein paar Nuancen dunkler, aber genauso lockig.
    Erst als sie sich der Eisenbahnbrücke näherten, verlangsamte Sandra ihren Schritt und blieb schließlich stehen. Als Charlotte erneut an ihrer Hand zog, hob sie ihre Tochter hoch und setzte sie sich auf die Hüfte. In einer der Nischen unter den Bogen der alten Backsteinbrücke hatte ein anonymer Künstler eine Schwarzweißfotografie einer jungen Frau angeklebt. Er hatte sie von der Hüfte aufwärts abgebildet, ihr nackter Oberkörper beinahe knabenhaft schlank. Die Form des Backsteinbogens, der das Bild einrahmte, erinnerte an eine Ikone, und der Blick, mit dem das Modell den Betrachter ansah, war so anmutig und heiter, dass Sandra sie im Stillen »Die Madonna der Brick Lane« getauft hatte.
    Aber sie verblasste schon, diese Madonna; das Papier war zerknittert, die Ecken lösten sich und rollten sich auf. Bald würde sie verschwinden und von der Vision eines anderen Künstlers oder einer anderen Künstlerin ersetzt werden, wie es das Schicksal aller Straßenkunst war. Sandra zückte ihre Kamera und machte ein Foto. Wenigstens in dieser Form würde die Madonna nun erhalten bleiben.
    Die Inspiration, die sie im Atelier gehabt hatte, nahm plötzlich Gestalt an. Ja, sie würde mit Fotoabzügen arbeiten, aber sie würde künstlich verblasste verwenden. Sie würden verschwinden, so wie die Frauen und Kinder, die im Lauf der Zeit auf so viele Arten gefangen gehalten worden waren, würden verschwinden wie das kleine Mädchen mit dem Sari …
    Aber nein, das konnte doch nicht sein … Sandra drückte Charlotte noch fester an sich. Sie hatte natürlich die Gerüchte gehört, hatte sie
aber nie mit irgendjemandem aus ihrem Bekanntenkreis in Verbindung gebracht. Es war unmöglich. Undenkbar. Und doch …
    Ich muss verrückt sein, sagte sie sich und schüttelte den Kopf. Aber nachdem der Gedanke sich einmal in ihrem Kopf festgesetzt hatte, begann er zu wachsen und zu wuchern und tausenderlei monströse Gestalten anzunehmen.
    Charlotte wand sich. »Mami, du tust mir weh!«
    »Entschuldige, Schätzchen.« Sandra lockerte ihren Griff und küsste Charlottes Lockenkopf.
    »Ich will selber laufen, will zu Papi«, rief Charlotte und trat mit den Füßen, die in Turnschuhen steckten, gegen Sandras Bein.
    »Wir treffen uns ja mit Papi. Aber -« Sandra warf noch einen Blick auf die Madonna, wandte sich dann ab und eilte mit Charlotte im Arm los. Es war vielleicht ein völlig abwegiger Verdacht, aber sie brauchte einen Beweis dafür, dass sie sich irrte. Mit ihrer freien Hand griff sie in die Tasche und tastete nach ihrer Kamera. Damit hatte sie einen Vorwand für einen Besuch. Sie würde fragen, ob sie ein Foto für ihre Collage machen dürfe. Es war nicht weit. Sie musste nur Roy bitten, eine Weile auf Charlotte aufzupassen.
    Sie überquerte die Bethnal Green Road und ging weiter durch die ruhigen, von Sozialwohnungen gesäumten Straßen von Bethnal Green. Von Charlottes Gewicht tat ihr allmählich die Hüfte weh.
    Als sie sich der Columbia Road näherte, kamen ihr schon die ersten Marktbesucher entgegen. Manche hatten Blumensträuße in der Hand, andere Topfpflanzen, und ein paar zogen sogar Handkarren mit Stauden

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