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Wenn die Wale an Land gehen (German Edition)

Wenn die Wale an Land gehen (German Edition)

Titel: Wenn die Wale an Land gehen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kathrin Aehnlich
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ausgeliefert werden. Doch leider waren sie nicht fahrbereit. Und ohne Motor keine technische Endkontrolle und ohne Endkontrolle keine Abrechnung und ohne Abrechnung keine Planerfüllung und Bilanzabnahme. Das wäre den Mitarbeitern letztendlich egal gewesen, doch daraus resultierte das eigentliche Drama: ohne Bilanzerfüllung keine Jahresendprämie. Das hatte es noch nie gegeben. Wieso sollten sie für einen Fehler anderer bestraft werden? Das konnte und wollte der Produktionsdirektor nicht hinnehmen. In seinem Büro klapperten bereits ab Mittag die Eierlikörflaschen.
    Und dann hatte er die rettende Idee. Auf dem Parkplatz neben der technischen Endkontrolle warteten genau 1000 fertige Traktoren auf die Auslieferung an die Sowjetunion. Die Papiere waren ausgestellt, aber was machte es, wenn sie den Versand etwas verzögerten, die Russen konnten im Winter sowieso nicht die gefrorene Erde auf ihren Feldern bearbeiten. Er rief Roswitha zu sich, hob verschwörerisch sein Eierlikörglas und weihte sie in seinen Plan ein. »Schtelln Schie schisch vor, Roschwidda! Hier schind unschere Traktoren mit Motor!« Er stellte eine volle Flasche Eierlikör auf die eine Seite. »Und hier schind die ohne Motor.« Er markierte die Stelle mit einer leeren Flasche Eierlikör. »Auschen schehen alle gleisch aus.« Er nahm die volle Flasche, schraubte den Verschluss ab und begann den Eierlikör in die leere Flasche zu füllen. »Wir bauen einfach die Motoren hier ausch, tragen schi auf die andere Scheite und bauen schi dort wieder ein. Dasch merkt doch keiner. Schieht allesch wieder gleisch ausch!«. Vor Freude über seine geniale Idee trank er einen großen Schluck Eierlikör aus der Flasche. Die Arbeiter machten drei Sonderschichten,die technische Endkontrolle stellte die Papiere aus. Und der Plan war erfüllt.
    Die Überreichung der Jahresendprämie musste gefeiert werden. Doch es wurde zunehmend schwierig, eine gastronomische Einrichtung zu finden. Die Brigaden aus dem Traktorenwerk waren im Ort verrufen, denn vor allem die Frauen nutzten jede Gelegenheit, sich in den Gaststätten für größere Familienfeiern mit dem notwendigen Geschirr auszustatten. Irgendjemand hatte immer Jugendweihe oder Schulanfang zu feiern. Vor der Feier wurden die benötigten Mengen bekannt gegeben, zum Beispiel: zwanzig Mal Besteck, zwanzig Biergläser, zehn Weingläser. Im Laufe des Abends verschwanden die Dinge in den Handtaschen. Doch nicht nur wegen der Umverteilung von Volkseigentum waren die Leute aus dem Traktorenwerk gefürchtet. Ihnen eilte der Ruf von Trinkfestigkeit voraus. Nicht zu Unrecht. Da konnte es schon mal ein Bier mehr sein. Sie feierten in einer abgelegenen Ausflugskneipe. Es gab Schlachteplatte. In der Mitte des Buffets stand, groß wie ein Medizinball, ein Hackepeterklops. Mit Appetit aßen sie Wellfleisch und warme Blut- und Leberwurst und strichen sich das rohe Gehackte zentimeterdick aufs Brot. Niemand dachte damals an Bandwürmer oder Schweinepest.
    Das Werk hatte einen Alleinunterhalter engagiert, und die Sekretärin wettete mit der Hauptbuchhalterin um eine Flasche Vierfruchtwermut, dass er ein Toupet trug.
    Am Ende der Feier war der Hackepeter aufgegessen, die Handtaschen mit Besteck und Gläsern gefüllt und auch die Toupet-Frage geklärt. Die Sekretärin hatte es dem verblüfften Alleinunterhalter vom Kopf gerissen und den Skalp, als Zeichen ihres Triumphes, über ihr Bierglas gestülpt. Die Hauptbuchhalterin saß auf dem Schoß des Produktionsdirektors, und Roswithalernte ihre vorerst letzte Büroweisheit: »Die Körper passen immer!«
    Nach der Feier überstürzten sich die Ereignisse. Die Finte des Produktionsdirektors war aufgeflogen, und er wartete auf eine Bestrafung durch das Ministerium. Immer häufiger verlängerte er seine mittägliche Zeitungsschau, blieb bis zum Nachmittag bewegungslos an seinem Schreibtisch sitzen und vergaß dabei, seine Schreibtischlampe einzuschalten, sodass die Sekretärin und Roswitha erschraken, wenn er im Dunkeln aus seinem Zimmer gewankt kam. Die Ärzte hatten bei ihm ein Magengeschwür diagnostiziert und dringend zu einer Operation und zu einem Leben ohne Eierlikör geraten. Seine Einlieferung ins Krankenhaus rettete ihn vor dem anstehenden Disziplinarverfahren.
    Das Fehlen des Produktionsdirektors machte Roswitha arbeitslos. Im Zuge einer Strukturveränderung wurde die Produktionsleitung dem Kombinatsdirektor zugeordnet. Roswitha blieb »übrig«. Kein Grund zur Aufregung, sie hätte

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