Wenn du lügst
Sicht käme.
Irgendwo da drüben wartete ein Wagen auf sie, oder vielleicht war er auch noch unterwegs - vorausgesetzt, ihre Mutter hatte es sich nicht anders überlegt. Was ihr zuzutrauen war. Aber irgendwie glaubte Lily nicht, dass ihre Mom es dieses Mal tun würde. Sie hatte noch nie zuvor solche Pläne gemacht, wirklich detaillierte Pläne. Und sie klang seit einiger Zeit verändert.
Die Zeit schleppte sich dahin. Das Einzige, was sie wollte, war, ihre Mutter in dieses Motelzimmer kommen zu sehen. Sie wartete und wartete, dass endlich Land auftauchte, aber als es so weit war, verspürte sie einen plötzlichen Stich des Bedauerns, und sie drehte sich um, um zurückzublicken. Was, wenn sie Breeze niemals wiedersehen würde, oder Betsy. Ihre Flucht war so überstürzt vonstatten gegangen, als hätte sie ein gigantischer Sturm einfach von der Insel gefegt. Sie war irgendwie auf die Insel geweht worden, und jetzt wurde sie wieder davongeblasen, so wie ein Samenkorn, das der Wind fortträgt. Würde sich das Ganze mit der Zeit wie ein Traum anfühlen, als ob sie überhaupt nie dort gewesen wäre? Aber das glaubte sie eigentlich nicht. Blackbeard’s Isle fühlte sich inzwischen mehr wie ihr Zuhause an als das Haus mit Jerry darin, und sie gab sich selbst das Versprechen, bald wiederzukommen. Zusammen mit ihrer Mom.
Sie ging von Bord und entdeckte, genau wie ihre Mutter versprochen hatte, einen Mann, der die Menge absuchte. Einen Moment lang empfand sie Furcht, als sie sich daran erinnerte, dass man ihr stets eingebläut hatte, nicht zu Fremden ins Auto zu steigen. Ich bin eine Idiotin, dachte sie. Ein echtes Baby. Mit einem nervösen Lächeln ging sie auf ihn zu.
kapitel 24
Ich ging über den Strand auf die Stelle zu, die ich Leroy als Treffpunkt genannt hatte. Obwohl ich nicht sagen konnte, warum, hatte ich sofort an jenen Teil des Strands in der Nähe von Blackbeards Schlupfwinkel gedacht, wo ich Charlie über den Weg gelaufen war. Aber jetzt wünschte ich mir, es nicht getan zu haben. Schon tagsüber hielt sich hier kaum jemand auf - kaum jemand außer Charlie -, und ganz sicher würde nachts überhaupt niemand da sein. Ich sah niemand, als ich die Stelle erreichte, doch Leroy musste sich im Sumpfland hinter den Dünen versteckt gehalten haben, denn nur ein paar Minuten nach meinem Eintreffen schien er sich im nächtlichen Nebel auf der Spitze einer Düne zu materialisieren.
Er kam die Düne hinunter auf mich zu und blieb nur ein paar Schritte von mir entfernt stehen. Er hielt an seiner Seite eine Schusswaffe in der Hand, und der Nebel verlieh ihm ein ätherisches Aussehen, als würde ich wieder eine Geistererscheinung sehen. Scharfe Angst krampfte sich wie die Krallen eines großen Vogels um mein Herz, und sie galt einem dreizehnjährigen Mädchen, von dem ich noch nicht einmal gewusst hatte, dass ich es mochte. Irgendwie hatte meine Sorge um sie
jede Furcht ausgelöscht. Die Krallen fühlten sich an, als würden sie meine Lungen durchbohren.
»Wo ist Lily?«, fragte ich. »Ich hoffe für Sie, dass Sie dem Kind nichts angetan haben.«
»Ich habe keinen Grund, ihm etwas anzutun. Nicht, wenn Sie mir sagen, was ich wissen will.«
»Was genau wollen Sie wissen?«
»Was haben die Cops über Sissy Harper?«, fragte Leroy.
»Nichts, im Grunde genommen gar nichts.«
»Spielen Sie nicht mit mir«, warnte er.
»Ich spiele nicht mit Ihnen. Eine Frau namens … Lucy Sparks … hat im Gefängnis angerufen«, log ich. »Sie wollte wissen, ob Daryl freikommt. Sie sagte, sie hätte vor langer Zeit, als Daryl in Haft kam, eine Freundin namens Crystal gehabt, und die habe ihr erzählt, dass Daryl in Texas ein vierjähriges Mädchen umgebracht hätte. Die Gefängnisleitung setzte sich daraufhin mit der Polizei in Verbindung. Die Beamten sprachen mit ihr, und die Frau sagte, dass Crystal den Mord beobachtet habe. Sie befürchtete, Daryl könnte wissen, dass Crystal ihr davon erzählt hatte, und würde versuchen, sie aufzuspüren, wenn er aus dem Gefängnis entlassen wird.« Ich verstummte und zuckte die Achseln. »Das war’s.«
»Erzählen Sie mir den Rest«, verlangte er. »Was werden die Cops jetzt unternehmen?«
»Nichts«, erwiderte ich. »Es gibt nichts, das sie unternehmen könnten. Crystal ist tot. Sie ist schon seit zehn Jahren tot. Ohne sie ist es reines Hörensagen. Man würde Lucy nicht erlauben auszusagen, und darüber hinaus hat es auch nie irgendwelche forensischen Beweise
gegeben. Es ist eine Sackgasse,
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