Wenn du lügst
kannte ich sie sehr gut. Wir waren als Teenager beste Freundinnen.«
»Und jetzt?«
»Ich habe sie seitdem nicht mehr gesehen.«
»Was führt Sie nun so plötzlich her?« Er sah beim Sprechen nicht zu mir, sondern auf einen Füller hinunter,
mit dem er auf dem Schreibtisch herumspielte. Seine Stimme war mit weißen Flecken gesprenkelt, was immer ein Zeichen von Sorge war. Es war irgendwie beunruhigend, diesen Mann nervös zu sehen. Es passte nicht. Er wirkte stabil und gelassen, überhaupt nicht wie jemand, der sich unnötig Sorgen macht.
Ich schwieg, bis er endlich hochsah. »Warum verraten Sie mir nicht, was los ist?«, sagte ich. »Warum stellen Sie mir all diese Fragen?«
Seufzend ließ er den Füller fallen und lehnte sich zurück. »Sie wissen gar nichts?«
»Ich habe einen Anruf bekommen. Eine Freundin macht sich Sorgen um sie, wollte aber nicht sagen, warum. Ich bin gekommen, um es herauszufinden.«
»Aber Sie sind nicht zu ihr nach Hause gefahren. Sie kamen hierher.«
»Na ja, ich bin zu ihr Hause gefahren. Ein Mann, der zu viel gelächelt hat, informierte mich, dass sie verreist sei.«
»Ach«, sagte er. »Und Sie haben ihm nicht geglaubt.«
»Ich mochte seine Augen nicht.« Was nicht die ganze Geschichte war. Ich hatte die Textur seiner Stimme schlichtweg gehasst, aber das sollte ich wohl besser für mich behalten.
»Wie haben Sie uns gefunden?«
»Übers Internet. Man kann da jeden finden.«
Er sah mich direkt an. »Na schön, ich habe zwar keine Ahnung, wer Sie sind, aber was soll’s. Ich werde Ihnen alle Informationen geben, die ich habe, denn wer weiß? Vielleicht können Sie etwas erreichen. Wir haben nämlich verdammt noch mal gar nichts erreicht.
Vor zwei Jahren hat Jena sich hier für eine Stelle beworben. Meine Büroleiterin war in Mutterschutz und hat sich dann entschieden, zu Hause bei ihrem Baby zu bleiben. Wir hatten in der Annahme, dass sie zurückkommen würde, versucht, ohne sie klarzukommen, aber irgendwie ist dann allmählich das Chaos ausgebrochen. Ich weiß nicht, ob Sie das alles hören wollen, aber ich muss beim Anfang beginnen, um Ihnen die Geschichte zu erzählen.«
»Kein Problem. Was genau tun Sie hier?«
»Wir platzieren Firmenwerbung«, erklärte er. »Aber wir entwerfen die Anzeigen nicht selbst. Dies ist ein Marketingunternehmen. Wir erforschen, wo die Anzeigen untergebracht werden sollen, welche Kunden was lesen und all das, dann setzen wir die Anzeigen an die strategisch wichtigsten Stellen, um das meiste aus ihnen herauszuholen. Das ist nicht höhere Mathematik, aber es ist ein umkämpfter Markt, und um zu überleben, müssen wir bei dem, was wir tun, ziemlich effizient sein. Fast jeder hier ist im Außendienst tätig und dementsprechend häufig unterwegs, deshalb ist die Büroleitung eine wichtige Position. Sie ist praktisch der Kitt, der die Dinge zusammenhält.
Sie hatte eine seltsame Vita, jede Menge verschiedener Jobs, dann Zeiten ganz ohne Arbeit, und fast hätte ich sie noch nicht mal zum Bewerbungsgespräch gebeten. Als ich jedoch nicht fand, wonach ich suchte, habe ich sie mehr zum Spaß eingeladen. Sie hatte etwas an sich.« Er seufzte. »Ich schätze, Sie würden es Elan nennen. Wenn Sie sie damals im Vergleich zu heute sehen könnten, Sie könnten es nicht glauben. Verdammt, ich
selbst kann es nicht glauben, und ich war die ganze Zeit über hier. Sie war damals aufmerksam und witzig, und sie erklärte mir, dass ein paar der Lücken in ihrem Lebenslauf mit dem Bergsteigen zu tun hätten. Dass sie immer eine Zeit lang gearbeitet und Geld gespart hätte und anschließend in verschiedenen Regionen geklettert wäre. Meistens in Südamerika, wenn ich mich recht erinnere.
Als dann ihre Tochter geboren wurde, blieb sie so viel wie möglich bei ihr zu Hause. Sie sparte Geld, bis sie aufhören konnte zu arbeiten, und fing erst wieder damit an, wenn es nötig wurde. Sie sagte, dass sie erst kürzlich hierher gezogen sei und jetzt, da ihre Tochter älter war, Vollzeit arbeiten wolle. Ich fragte sie, warum sie denn hergezogen sei, und sie antwortete, dass sie wieder geheiratet habe und ihr Ehemann hier an der Universität arbeite. Sie sagte, sie wolle nun endlich sesshaft werden.
Nun, was das betraf, hatte ich so meine Zweifel. Meiner Erfahrung nach bleiben Menschen mit einem solchen Lebenslauf auf Wanderschaft. Aber na wenn schon. Sie würde also nicht für immer bleiben. Ich dachte, dass sie uns zumindest dabei helfen konnte, die Dinge wieder in
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