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Wenn du lügst

Wenn du lügst

Titel: Wenn du lügst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Salter
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Außer unseren. Manchmal dachte ich, dass Jenas Mutter das war, was aus meiner geworden wäre, wenn sie mit uns nach Clark gezogen wäre. Natürlich war das Unsinn. Jenas Mutter war eine Südstaaten-Hausfrau, die in Clark als normal durchgehen konnte, wenn es darauf ankam. Das einzige Foto, das ich von Elsie hatte, zeigte eine Frau mit einem langen, roten Zopf auf dem Rücken, die ein selbst gesponnenes, formloses Hemd und Sandalen trug. Sie wäre in Clark aufgefallen wie ein Weihnachtsbaum bei einem Chanukka-Fest.
    Im Lauf der Jahre hörte ich hin und wieder von ihr. Meistens war es eine Botschaft von den Geistern, die sie an mich weitergeben sollte. Sie wurde ein wenig reifer oder passte sich einfach an, auf jeden Fall schien sie in der Welt zurechtzukommen. Sie webte und schickte mir einmal einen Schal, den sie gemacht hatte und der wirklich
wunderschön war. Als ich ihn berührte, wurden meine Handflächen warm und schmerzten. Mein Kopf sagte mir, dass da nichts zwischen uns war, trotzdem konnte ich mich nie von dem Schal trennen. Ich besitze ihn noch immer - dieses traurige Alles, was Elsie mir zu geben hatte.
    Dennoch war es nach all den Straftätern, die ich beurteilt hatte, schwierig, auf jemand zornig zu sein, der keinen einzigen bösen Zug an sich hatte. Elsie tat niemand etwas zuleide, sondern vertraute der Welt nur viel zu sehr. Nachts fragte ich mich manchmal, wie ihre Stimme aussehen und ob ich wohl jemals den Mut finden mochte, nach Arizona zu fahren, um es herauszufinden. Genau wie meine Mutter trug ich mein Haar in einem langen Zopf auf dem Rücken, auch wenn ich mir immer wieder einredete, dass es nichts mit ihr zu tun hätte.
    Eines ist ganz sicher. Meine Erfahrungen mit Elsie haben mir keinerlei Anhaltspunkt gegeben, wie ich mit Lily umgehen sollte. So liebenswert mein Vater auch war, war er trotzdem keine Mutter. Und er beschaffte mir auch keine. Er heiratete nicht wieder - tatsächlich ließ er sich nie scheiden -, und er hatte auch nie eine Freundin, die bei uns wohnte. Von meiner Großmutter heißt es, sie sei ein mütterlicher Typ gewesen, doch sie starb kurz nach unserer Heimkehr. Meine Informationen über die Menstruation bekam ich von einer Lehrerin, der ich vertraute, und als dann Tampons in unserem Badezimmer auftauchten, erwähnte mein Vater sie mit keinem Wort. Er tat, was er konnte, und ignorierte den Rest, vermutlich darauf vertrauend, dass ich es schon selbst herausfinden würde. Ich hatte keine Geschwister, deshalb
wusste ich über Kinder etwa so viel wie über Gürteltiere. Ich war zwar selbst mal eins, aber keins wie Lily. Ich war ein Wildfang, der praktisch im Freien lebte, und Lily beleidigte so ziemlich alles, was mir wichtig war.
    Aber was konnte ich dagegen tun? Lily wohnte bei mir - so viel stand fest. Sie wohnte bei mir, weil Jena sie mir anvertraut hatte. Es gibt auf dieser Welt Dinge, die man tut, und solche, die man nicht tut. Man musste schon ein Kotzbrocken allererster Güte sein, um ein Kind in ein Pflegeheim zu schicken oder, noch schlimmer, zurück zu einer Mutter, die als Kind deine beste Freundin war und jetzt zu Tode geprügelt wurde. Jena musste nicht erst fragen, und ich musste nicht antworten. Es war ein stillschweigendes Abkommen. Lily gehörte zu mir, bis Jena sie wieder zu sich holte, falls das je geschehen würde.

kapitel 9
    Am frühen Morgen, als das Haus still war und Lily noch schlief, war die beste Zeit zum Arbeiten. Ich setzte mich an meinen Schreibtisch, während der Morgenhimmel gerade erst erblühte, und holte sämtliche Akten im Fall Collins hervor. Früher war mein Büro ein Esszimmer gewesen. Die einzige Umbaumaßnahme, die ich an dem Häuschen vorgenommen hatte, war der Einbau eines Panoramafensters, so dass ich das Meer in der Ferne sehen konnte, während ich arbeitete. Der Blick mochte mich ablenken, gleichzeitig sorgte er dafür, dass ich gern an meinem Schreibtisch saß.
    Ich begann die Papiere durchzusehen. Vor mir lagen die Details eines vergeudeten, schmerzlichen Lebens. Die einzige Frage, die sich bei einem Mann wie Collins stellt, ist nicht die, was er für diese Welt tun wird, sondern, was er ihr antun wird. Was Collins betraf, war er bereit, eine Menge verschiedenster Dinge zu tun - nicht nur sexuelle Straftaten zu begehen, was jedoch das Einzige war, das für das Sicherungsverwahrungsgesetz zählte. Collins war ein Zufallsverbrecher, die Sorte Täter, die dich um deine ganzen Ersparnisse prellt, dich auf offener Straße

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