Wenn du lügst
gewesen. Sie erzeugten eine seltsame Ehrfurcht in mir, die wie eine Blase in meiner Brust schwebte. Und ganz zweifellos war Portsmouth Island ein magischer Ort. Im Unterschied zu allen anderen fühlte er sich wie Zuhause an.
Meine Familie hatte früher dort gelebt, vor langer Zeit, als Portsmouth noch sechshundert Einwohner gezählt hatte, genauso viele, wie heute ganzjährig auf Blackbeard’s Isle lebten. Wie viele andere waren sie weggezogen, als in der Mitte der 1840er Jahre ein heftiger Hurrikan Untiefen im Meeresarm hinterlassen und damit den Menschen die Lebensgrundlage entzogen hatte, das Lotsen und Entladen von Schiffen, die zu schwer waren, um es hindurchzuschaffen. Der Bürgerkrieg forderte ebenfalls seinen Tribut, und die Bevölkerung war auch danach noch stetig weitergeschrumpft. Der letzte Vollzeiteinwohner war 1970 gestorben. Nun war es eine Geisterstadt mit ein paar vom National Park Service restaurierten Häusern, die über die sandigen Ausläufer verstreut
lagen und das um sich greifende Sumpfland beharrlich im Zaum hielten. Auf der Meeresseite türmten sich Muscheln, ohne von gierigen menschlichen Fingern aufgeklaubt zu werden, und die Brandung wälzte sich ungehört über den Strand.
Dennoch haftet Orten, an denen Menschen gelebt haben, eine eigenartige Atmosphäre an, als klängen die Erinnerungen noch nach oder als hätten die Menschen einen Rest von Leben zurückgelassen. Durch Portsmouth zu gehen war ganz anders als in Teilen von Alaska herumzuwandern, wo noch nie ein Mensch gewesen war. Ich hatte weder das Gefühl, fremd zu sein, noch, eine andere Welt zu betreten. Portsmouth Island war eine Insel der Menschen, ehemals sechshundert davon, und irgendwie war die Erinnerung an Kleider, die an Wäscheleinen trocknen und im Wind flattern, an Holzfeuer, die Rauchfahnen den Kamin hochschicken, an einen Briefträger, der die tägliche Post bringt, an Jung und Alt, die gemeinsam in der Abendbrise auf der Veranda sitzen und Moskitos fortwedeln -, all das war auf eine Weise, die ich nicht zu erklären vermochte, noch immer da. Ich konnte es spüren.
Der Meeresarm zwischen Blackbeard’s Isle und Portsmouth Island, den ich überquert hatte, war einst die wichtigste Handelswasserstraße an der Küste North Carolinas gewesen. Sie hat allerdings nicht nur friedvollen Handel erlebt. Der Name Blackbeard’s Isle war mehr als nur eine originelle Bezeichnung für die Touristen. Die Insel war früher eine Piratenhochburg, sozusagen der Zugang zu Blackbeards Schlupfwinkel. Anfang des achtzehnten Jahrhundert war dieser berüchtigte Pirat jenseits
der Wasserstraße in einer Bucht vor Anker gegangen, wo sich die Küste wie eine Tasse nach innen wölbt. Er hatte sich ein Versteck errichtet, von dem aus er die Dünen überblicken und Schiffe ausspionieren konnte, die entlang der Küste segelten. Wenn er ein Schiff entdeckte, das reiche Beute versprach, machte er sich auf, um es zu kapern, dann kehrte er nach Hause zurück, um zu feiern, bis die nächste fette Beute vorbeikam.
Aus irgendeinem Grund war es immer Blackbeard’s Isle gewesen, das die Piraten anzog, und nicht seine ruhigere Schwester jenseits der Wasserstraße. Ich glaube, Portsmouth Island liebt die Einsamkeit genauso sehr wie ich, und als sie dann endlich den letzten Vollzeitbewohner hat scheiden sehen, muss sie vor Freude mit all ihren Büschen gewedelt haben.
Ich befestigte das Boot an dem Dock, das der National Seashore Park für die kleine Gruppe Besucher gebaut hatte, die regelmäßig auf die Insel kamen, dann ging ich zügig zu der Ansammlung verlassener Häuser hinauf. Aus der Entfernung wirkte es, als stünden sie im Sumpf selbst, tatsächlich aber befanden sich darunter Streifen soliden Untergrunds, verwoben mit ausgedehnten Sumpfflächen. Ich wandte mich nach links und folgte dem Pfad, der mich an der Kirche, der Rettungsstation und dem einzigen bewohnten Gebäude vorbeiführte, einem kleinen Haus ganz am Ende, wo zeitweise freiwillige Helfer wohnten, um die Besucher zu betreuen.
Ich lief die geschätzten eineinhalb Kilometer hinunter zum Strand und hatte dabei wie immer das Gefühl, irgendwie zu Hause zu sein. Zuhause ist nicht der Ort, wo man hingeht und sie einen aufnehmen müssen. Robert
Frost, der das behauptet hat, kann sich nirgendwo freundlich genug zu Hause aufgenommen gefühlt haben. Zuhause ist in meinen Augen vielmehr der Ort, wo sich der straffe Knoten in einem plötzlich lockert, bis man ihn schließlich nicht mehr spüren
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