Wenn du lügst
tatsächlich in Betracht gezogen hatte.
»Dann lass mich mal zusammenfassen, wo wir stehen«, sagte ich. »Du hast da eine Bekannte, die zufälligerweise eine sehr kampfeslustige Staatsanwältin ist, mit dem Hang, sich von Zeit zu Zeit hinreißen zu lassen - richtig oder falsch?«
»Richtig.«
»Und sie hatte die Idee, Daryls potenzielle Sicherungsverwahrung in Washington einzutauschen gegen seine Zeugenaussage im Fall Sissy Harper in Texas, eine Idee, die ihr kam, nachdem sie erfahren hatte, dass da etwas in den Akten steht über Daryl und das Mädchen. Richtig?«
»Richtig.«
»Was für sie nach einer Idee klang, die funktionieren könnte, weil Sicherungsverwahrung für ihn lebenslänglich bedeuten könnte, und sie glaubt, dass er seine Mutter verkaufen würde, ganz zu schweigen von seinem Bruder, um das zu umgehen.
Allerdings stellt sich dann heraus, dass an dieser Idee einfach alles hinkt, was jedoch keine Rolle mehr spielt, weil sie Leroy mit etwas gedroht hat, das sich durch nichts stützen lässt, in der Hoffnung, dass entweder du oder ich mitziehen würden oder dass sie zumindest einen Zwist unter Gangstern provozieren könnte. Sie hat das Feuer geschürt, um zu sehen, was passieren würde, richtig? Sie hoffte darauf, dass Leroy sie ernst nehmen und sich in irgendeiner Weise an Daryl heranmachen oder sich zumindest so weit in dessen Fall einmischen würde, dass Daryl sich bedroht fühlen und zur Selbstverteidigung aussagen würde.«
»Wahrscheinlich.«
»Aber stattdessen hat er sich an mich rangemacht. Vermutlich, um Informationen darüber zu bekommen, was vor sich geht.«
»Es hat ganz den Anschein.«
»Er und Daryl sind jetzt also immer noch ein Team
und betrachten mich als diejenige, die ihnen verraten kann, was die Polizei über Sissy Harper herausgefunden hat. Und dann ist da noch diese Bemerkung über jemand, der auftaucht - ich denke nicht, dass ich gemeint war -, und wir haben nicht die leiseste Ahnung, was das alles bedeutet.«
Ich war auf dem Sofa gelegen und hatte gelesen, als der Anruf kam, und jetzt starrte ich zur Decke und versuchte herauszufinden, was ich wegen dieser Sache unternehmen sollte. Lily war unterwegs, das Haus war still, und die Zeit schien stehenzubleiben wie ein absterbender Motor. Ich fühlte mich müde, und dieses ganze Gespräch wirkte sinnlos. Die Decke war ein gebrochenes Weiß mit einer strukturierten Oberfläche, und ich hatte das Gefühl, mich in ihr zu verlieren. Ich konnte nicht das Geringste unternehmen. Die Dinge waren, wie sie waren.
»Breeze?«, fragte Robert.
»Ich denke nach«, behauptete ich, doch ich tat es nicht. Ich tat gar nichts, außer an die Decke zu starren.
»Ich kann nicht wegfahren, Robert. Es geht einfach nicht.«
Und das war die Wahrheit. Ich hatte Lily bereits aus ihrer Schule gerissen und sie der Unterstützung ihrer Freunde beraubt, wie auch immer diese beschaffen gewesen sein mochte. Sie hatte kaum begonnen, sich hier einzuleben. Ich konnte ihr das nicht schon wieder antun.
Abgesehen davon würde sie, falls Betsy recht hatte, nicht mitkommen. Sie verbrachte ihre Tage damit, auf eine Nachricht von ihrer Mutter zu warten, aber wenn wir die Flucht antraten, könnte ihre Mutter uns nicht
finden. Und mir ging es nicht anders. Irgendwo in meinem Hinterkopf hegte ich die unwahrscheinliche Hoffnung, dass Jena an irgendeinem Punkt beschließen würde wegzugehen. Ich hatte Lily. Wenn sie wegging, wäre dies der Ort, an den sie kommen würde, aber nicht, wenn wir fort wären.
»Es ist kompliziert. Die Tochter einer Freundin lebt im Moment bei mit, weil ihre Mutter eine … eine schlimme Phase durchmacht. Ich muss da sein, wo sie uns finden kann.«
»Breeze, worum auch immer es da geht«, sagte er, »das hier ist …«
»Sowieso wäre es beängstigender, auf der Flucht zu sein, als hier auf der Insel«, unterbrach ich ihn. »Unterwegs hätte ich gar keine Hilfe. Ich würde niemand bei der Polizei kennen. Ich hätte keine Nachbarn, die die Augen offenhalten könnten. Nichts wäre vertraut. Hier kenne ich zumindest jeden. Ich kenne mich auf der Insel besser aus als Leroy. Es wäre, als würde ich meinen Heimvorteil aufgeben.« Ich erwähnte nicht, dass wir uns auf die Urlaubssaison zu bewegten und mehr als zwanzigtausend Menschen, die ich nicht kannte, auftauchen würden. Trotzdem war es die Wahrheit, ich fühlte mich sicherer zu Hause.
Robert stieß einen Seufzer aus, dann sagte er sehr langsam und sehr deutlich: »Das ist ein Fehler,
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