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Wenn du mich brauchst

Wenn du mich brauchst

Titel: Wenn du mich brauchst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jana Frey
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sich David, in Schale geworfen, fotografieren ließ. Das Bild war für Rivki bestimmt, seine neue Liebe, nachdem er seine Schwärmerei für Sharoni endgültig abgelegt hatte.
    Er hatte Rivki in einem jüdisch-orthodoxen Sommercamp in Sacramento kennengelernt, sie war ebenso gläubig wie er. Sie lebte mit ihrer Familie in der Nähe von San Francisco und David war, zum jetzigen Zeitpunkt, wild entschlossen, sie in ein paar Jahren zu heiraten.
    »Hannah?«, wiederholte meine Großmutter, die nicht mehr meine Großmutter war. Ich starrte auf den eingeschalteten Fernseher. Dort lief Family Guy, eine idiotische Zeichentrickserie, die ich normalerweise verachtete.
    »Es ist diese Verwechslung, die dir zu schaffen macht, hab ich recht?«, fragte sie leise und beugte sich zu mir vor. Sie roch nach Küchengewürzen, Bratfett und Knoblauch, vermischt mit ihrem blumigen israelischen Parfum. Ihre schwarzgrauen Haare waren im üblichen Pferdeschwanz zurückgebunden. Ihre dunklen Augen musterten mich besorgt, wie es mir schien.
    Ich hob die Schultern, schwieg und schaute wieder zum Fernsehbildschirm hinüber.
    »Das ganze Leben ist ein verschlungener Stolperpfad, Channaleh«, sagte sie schließlich, weil ich immer weiter schwieg. »Sieh mal, deine Urgroßmutter steckt in ihrer Vergangenheit fest und erstickt ihren Kummer in zu viel Alkohol. Ich selbst denke immer wieder traurig an meine eigene Geburt im Vernichtungslager Auschwitz zurück – was für ein Lebensbeginn. Und dein Großvater Yitzchak ist im letzten Jahr in Tel Aviv nur knapp einem Bombenattentat entkommen – Chas Wachalilah! –, als er in der Weißen Stadt den Rabin Square überqueren wollte … – Und dein Cousin Chajm …« Sie seufzte tief und schob sich eine widerspenstige Haarsträhne aus der hohen Stirn. »Oh, er macht uns große Sorgen. Verweigert den Militärdienst, beleidigt die Behörden, kränkt die Familie …«
    Sie sprach wie immer hebräisch und ich lauschte wie abwesend.
    Shar und David waren in der Zwischenzeit hereingekommen und David eilte zurück an seinen PC, um seine unterbrochene Kommunikation mit Rivki, der Wunderbaren, wieder aufzunehmen, und ihr schnellstmöglich den besten von Shars Schnappschüssen zuzumailen. Was war er doch für ein eitler Knabe. Seine schwarzen, widerspenstigen Locken, die hohe Stirn, die weit auseinanderstehenden dunkelbraunen Augen, das eckige, markante Kinn – warum war mir nur früher nie aufgefallen, dass ich völlig anders aussah als der Rest der Familie?
    Sharoni verstand nur unser Schulhebräisch, dem schnell gesprochenen Tel-Aviv-Hebräisch meiner Großmutter konnte sie kaum folgen. Bei ihr zu Hause sprach keiner hebräisch, außer den für die Lesungen in der Synagoge nötigen Thora abschnitten, die ihr Vater und ihr Bruder sprechen konnten.
    »Aber das Leben ist auch bunt und schön«, sagte meine Großmutter gerade. »Mach die Augen auf, Augenstern: Deine Urgroßmutter ist trotz ihres hohen Alters immer noch gesund, ich selbst bin mit vielen wunderbaren und begabten Kindern und Enkelkindern gesegnet, dein Großvater ist ein sehr beliebter und geachteter Rabbiner – und deine Cousine Rebekka erwartet im Winter, Haschem sei Dank, gleich Zwillingsbabys …«
    Peter Griffin, das Familienoberhaupt aus Family Guy, ein dicker, fernsehsüchtiger und geistig zurückgebliebener Schwachkopf, attackierte gerade lautstark und in schwachsinniger Weise seine hässlichen, ebenfalls idiotischen Cartoonkinder und ich fühlte mich schwer wie ein Stein, während ich immer noch wie gebannt dieser geballten Ladung Blödsinn auf dem Bildschirm folgte wie eine Ertrinkende.
    »Und, Hannah, diese Verwechslungsgeschichte verändert doch dich als Mensch nicht. Du bleibst die, die du bist, die du immer warst …«
    Tat ich das? Ich hatte in der letzten Zeit eher das Gefühl, mich komplett aufzulösen. Nicht ich – sondern Sky Lovell half Jonathan. Nicht ich, sondern Sky Lovell war Gesprächsthema meiner Eltern. Nicht ich, sondern Sky Lovell bekam Aufmerksamkeit und Geschenke.
    »… und nur darauf kommt es doch letztendlich an. Du bist du, Hannah.«
    Meine Großmutter drückte meine Hand, ich schluckte und musste an Rosie Lovells blonde, deutsche Mutter denken, die meine wirkliche, meine leibliche Großmutter war. Sie hatte eine merkwürdig kühle Ausstrahlung gehabt. Bestimmt roch sie nie nach Küche, nach Bratfett, nach Knoblauch. Sie sah eher so aus, als äße sie ununterbrochen in eleganten Restaurants. Sie hatte überhaupt

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