Wenn du mich brauchst
Baby den Rang ablaufen konnte.
Ich schwieg und biss die Zähne zusammen. Vielleicht war ich überempfindlich und verrückt, aber wenn es so war, konnte ich es eben nicht ändern.
»Han, Esther ist irgendwie erstarrt oder eingefroren«, informierte David mich etwa eine halbe Stunde später. Es war schon fast eins und allmählich gaben es die anderen auf, wie es schien. Es wurde eindeutig immer stiller im Haus. Shar hatte es sich nebenan in unserem Gästezimmer bequem gemacht. Dort war es sehr gemütlich. Wir übernachteten manchmal zusammen dort drin. Auch Mr Goldblums Brummen war verklungen.
»Wieso? Was tut sie?«, fragte ich leise durch die Tür.
»Sie sitzt immer noch im Wohnzimmer rum und rührt sich nicht von der Stelle.«
Davids Stimme klang besorgt, aber ich öffnete ihm nicht. Stattdessen rappelte ich mich auf und schaltete den PC ein, obwohl uns das am Schabbat verboten war. Aber mir war das heute egal. Ich war ja nicht mal mehr wirklich jüdisch.
»Esther sagt, sie muss eine Entscheidung treffen«, fuhr David ratlos fort. »Allerdings sieht es eher so aus, als würde sie demnächst der Schlag treffen, Han! Ich mache mir wirklich Sorgen. Sie sieht heute Nacht so klapprig und mitgenommen und aus der Zeit gefallen aus wie noch nie.«
»Hat sie viel getrunken?«, erkundigte ich mich und öffnete Facebook.
»Nicht mal das«, antwortete David. »Han, sag mal, hast du etwa deinen Computer eingeschaltet? Ich sehe da ein diffuses Licht durch deinen Türspalt.«
»Und wenn?«, sagte ich gereizt und tippte Sky Lovell in die Facebook -Suchspalte. Warum war ich da nicht viel früher drauf gekommen?
»Es ist Schabbat , Hannah!«, sagte David und jetzt war seine Stimme eindeutig wütend.
»Nicht für mich, Rabbi David!«, entgegnete ich ebenso wütend und betrachtete Sky Lovells Profilbild. Kein Foto, sondern das bunte, selbst gemalte andywarholartige Porträt eines blonden Mädchens mit großen grünen Augen.
Eindeutig kein Joni-Shalom-Bild, keine Knubbelnase, keine gelben Schnittlauchhaare, wie Shar es genannt hatte. Eher ein echtes Profibild. Ob ihr – beziehungsweise mein – Vater es wohl gemalt hatte? Ich musste an diese Serviettenskizze aus dem Yamashiro denken, die meine Mutter seit ihrem Treffen mit Skys Vater immer mit sich herumschleppte.
»Hannah, was soll das?«, regte David sich auf.
»Lass mich in Ruhe, verdammt!« Ich klickte auf den Button, der eine diffuse, völlig aus der Luft gegriffene Freundschaftsanfrage an Sky Lovell beinhaltete. Send a friend request.
Was tat ich hier nur, um Himmels willen? War ich denn völlig übergeschnappt?
29. SKY
Ich hatte jetzt ein eigenes Auto. Und eben waren mit der Post die ersten Unterlagen für meinen SAT-Test gekommen. Der Test sollte die Eignung für das College überprüfen und die Ergebnisse waren extrem wichtig, wenn man vorhatte, nach der Highschool zu studieren.
Kendra und ich waren jetzt in der Abschlussklasse der Highschool. Viel Zeit blieb also nicht mehr. Wenn wir etwas erreichen wollten, war jetzt viel Paukerei angesagt.
Moon hatte, ohne zu lernen, über tausendfünfhundert Punkte in seinem Test geschafft. Aber weder Kendra noch ich waren er.
»Moon?«, rief ich und verschloss mit einem Klick meinen sonnengelben Wagen. Ich ging in den Garten, aber dort war Moon nicht. Stattdessen war dort jemand anders und las in einem Spiderman-Comic aus unserer Bücherkiste, die auf der Terrasse in einer Ecke stand.
Es war Gershon.
»Hi«, sagte er und schaute mir direkt in die Augen.
»Hi«, antwortete ich verlegen. »Einen Moment … – Mom?«
Ich rief halblaut und warf gleichzeitig einen prüfenden Blick durch die offene Terrassentür in unser unaufgeräumtes Haus.
»Keiner da, wie es scheint«, informierte mich Gershon. »Nicht mal euer Hund. Ich sitze hier schon eine ganze Weile.«
Ich gab es auf, hockte mich zu ihm ins Gras und seufzte. Ich wusste nicht, wo ich anfangen sollte.
»Ich hätte mich längst melden sollen. Es tut mir leid«, sagte ich schließlich kleinlaut.
»Stimmt.« Mein ehemaliger Abschlussballpartner nickte.
»Es ging … mir nicht so gut«, sagte ich lahm.
Gershon nickte wieder.
»Moon und Kendra haben es mir ausgerichtet. Mehrmals.« Er lächelte und sofort lächelten seine karamellfarbenen Augen mit.
Er zählte es an den Fingern ab.
»Tage. Allgemeines Unwohlsein. Stress. Deine Großeltern. – Habe ich was vergessen?«
»Nein, so in etwa war es das.« Meine Stimme war nicht viel mehr als ein
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