Wenn du mich brauchst
nichts Großmütterliches an sich. Wie es wohl für Sky Lovell war, so eine Großmutter zu haben? Ich schob den Gedanken rasch wieder zur Seite. Ich wollte ihn nicht denken.
»Willst du diese – Sky denn gar nicht sehen, Bubbe? Sie ist schließlich – Imas wirkliche Tochter …«, fragte ich dennoch.
»Doch, ich möchte sie natürlich sehen, wenn es sich ergibt. Aber meine Enkelin bist du! Und so wird es immer bleiben, Augenstern. Immer.«
Ich schüttelte den Kopf und fühlte mich trostlos, aber ich stellte wenigstens Family Guy endlich tonlos.
»Hast du von dem Auto gehört, das Ima und Abba ihr gekauft haben?«, fragte ich und hätte die Frage anschließend am liebsten in kleine Fetzen gerissen.
Meine Großmutter nickte.
»Ich habe noch nicht mal meinen Führerschein«, erklärte ich leise. »Warum haben sie ihr so ein teures Geschenk gemacht?«
»Das war ein bisschen unüberlegt, vielleicht«, gab meine Großmutter seufzend zu. »Ein sehr großes Geschenk. Hoffentlich fühlen sich – ihre Eltern nicht beschämt von dieser Gabe …«
»Meine Eltern, meinst du wohl?«
In dem Moment kamen die anderen. Mein Vater, mein Großvater Yitzchak, Esther, David, außerdem Onkel Zvi und Tante Hayley. Dazu Mr Goldblum und Lori, die heute Abend den Schabbat mit uns verbringen wollten.
»Delia ist schon losgefahren, damit es nicht zu spät für Jonathan wird«, erklärte mein Vater, der sich für den Schabbat umgezogen, geduscht und rasiert hatte. Meine Großmutter nickte verstehend, drückte noch einmal meine Hand und eilte dann in die Küche zurück. Er sprach Englisch, sie antwortete hebräisch. So verständigten sie sich.
»Guck nicht wie ein deprimiertes Schaf, Han«, flüsterte Shar mir streng zu. »Die Welt geht nicht unter.«
Der Esstisch im Wohnzimmer war festlich gedeckt. Das beste Silber meiner Eltern funkelte im warmen Licht unserer Schabbat kerzen. Das Essen war noch leckerer als sonst. Es wurde gesungen und erzählt, als gäbe es die Sache mit Sky Lovell gar nicht. David erzählte ein paar lustige Anekdoten aus seiner Jeschiwa und mein Großvater, beziehungsweise Davids Großvater, gab eine kurze Talmud lektion.
Nach dem Essen und den Gebeten wurde, wie an jedem normalen Schabbat , geredet und gesungen und gespielt bis gegen Mitternacht. Für meine Familie war es der erste fröhliche Schabbat seit dem Tag in Disneyland.
»Diesen Schabbat feiern wir euch zu Ehren – Sarah, Yitzchak«, sagte mein Vater feierlich zu seinen Schwiegereltern und in seinem Lächeln lagen Erschöpfung, Sorge und Müdigkeit. Aber auch eine neue Hoffnung, die es dank Sky Lovell gab, wie wir alle wussten.
»Und …« Mein israelischer Großvater, der neben mir saß, legte dabei seine warme, schwere Hand auf meine und schien das Gleiche zu denken wie ich, denn er fuhr fort: »… nimm mir diese Worte bitte nicht übel, Hannahle, aber diesen Schabbat feiern wir auch eurer verlorenen und wiedergefundenen Tochter zu Ehren, die den eigenwilligen Namen Sky trägt – ein schöner Name, wenn ihr mich fragt … Sie hat Großes getan für Menschen, die sie im Grunde doch gar nicht kennt …«
Für einen Moment war es ganz still, aber dann hielt ich es nicht mehr aus. Ich sprang auf, mein Stuhl kippte polternd nach hinten, als ich blind vor Verzweiflung davonstürzte.
Mr Goldblum brummte laut und erschrocken und missbilligend, wie es schien, auf.
»Han, spinn nicht und mach auf!«, rief Sharoni ungeduldig vor meiner Tür. Sie klopfte wieder und wieder. Auch mein Vater, David und meine israelischen Großeltern machten meiner verschlossenen Tür nacheinander die Aufwartung. Aber ich konnte mich nicht rühren, ich war wie versteinert.
Mr Goldblum hatte sich brummend in der Werkstatt eingeschlossen. Ich konnte ihn im Stockwerk unter mir werkeln hören.
»Hannah, wenn Hayley und ich eines Tages tatsächlich ein Baby adoptieren, wird es auch andere – genetische Wurzeln haben als wir«, rief Zvi behutsam in das Mr-Goldblum-Gebrumme. »Aber es wird dennoch ganz und gar unser Kind sein, so wie du Mos und Delias Kind bist. Das weißt du doch im Grunde auch, Kummerkind, oder?«
Aber dieses Kind würde seine Geschichte von Anfang an kennen, das war der Unterschied. Es würde nicht eines Tages – völlig unverhofft – in ein tiefes Loch aus Einsamkeit fallen wie ich. Und auch Zvi und Hayley würde es nicht so unvorbereitet treffen. Sie wussten, was sie taten. Und es gab nicht plötzlich irgendwo ein anderes Kind, das ihrem adoptierten
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