Wenn du mich brauchst
merkwürdig, kam Skys diesmal sehr schnelle Antwort. Er hat, bevor er verschwunden ist, sein Zimmer KOMPLETT aufgeräumt! Das alleine ist besorgniserregend! Und er hat sein Handy ausgeschaltet und auf den leer geräumten Schreibtisch gelegt …
Das klang alles nicht gut.
Hat er Probleme?, schrieb ich vorsichtig.
Ja. Tausende!, war Sky Lovells kryptische Antwort.
Aber dann schickte sie eine erklärende Nachricht hinterher. Er nimmt das Leben furchtbar schwer. Er ist irgendwie außer sich wegen uns beiden. Er hat dauernd Zoff mit unserem Vater. Er ist ein Einzelgänger der speziellen Art …
Er war mein Bruder. Das alles war wie in einem Film. Ihr Bruder, mein Bruder. Meine Brüder, ihre Brüder.
Aus irgendeinem Grund schrieb Sky nicht mehr weiter. Ihre letzte Nachricht stand still im geöffneten Chatfenster und ich starrte eine Ewigkeit darauf. Dabei hatte ich ihr geantwortet: Das klingt ja alles ziemlich verworren, hatte ich geschrieben. Ich würde gerne helfen, aber ich weiß nicht, wie. DU HAST MEINEM KLEINEN BRUDER SO WAHNSINNIG GEHOLFEN! Danke!
Es war über eine halbe Stunde vergangen, als sie plötzlich weiterschrieb.
Sorry, aber mein Vater kam gerade. Meine Mutter ist völlig außer sich vor Sorge wegen Moons Verschwinden. In solchen Momenten kommt Leek immer heim! Und eben hat er entdeckt, dass Moons Reisepass und sein Sparbuch verschwunden sind! Wenn das kein Zeichen ist …
Was bedeutete das, dass Mr Lovell immer nach Hause kam, wenn Mrs Lovell sich Sorgen machte? Wo war er sonst? Lebten Skys – Eltern etwa getrennt?
Außerdem hat mein Dad einen zusammengeknüllten Zettel im Küchenmüll entdeckt. Nicht sehr appetitlich, aber dafür aussagekräftig … – Sorry, ich muss aufhören! Ich melde mich später wieder!
Okay, schrieb ich zurück und saß hinterher noch fast eine Stunde stumm vor dem Bildschirm, ohne mich zu rühren.
31. SKY
Der zusammengeknüllte Zettel war von Chrippa unterschrieben.
»Wer ist das noch mal?«, fragte Leek ratlos und las die handgeschriebene Nachricht wieder und wieder.
»Chrippa Chesapeake«, sagte Rosie zu unserer aller Überraschung leise. »Weißt du nicht mehr, Leek, dieses Punkmädchen mit den erzkonservativen Eltern? Sie war vor ein paar Jahren eine Weile in Moons Klasse.«
»Ruby. Ruby Chesapeake«, sagte Leek plötzlich. »Jetzt erinnere ich mich. So eine Kleine, Wilde. Chrippa hat sie sich selbst genannt.«
Rosie saß auf ihrer Yogamatte und knetete ihre Fußzehen, um so ihren verspannten Rücken zu entlasten. An dem Tag, als ich zu Gershon gefahren war, hatte sie wie eine Wahnsinnige nach Moon gesucht. Sie schien eine Menge von seinen Lieblingsaufenthaltsorten zu kennen, aber genützt hatte es ihr nichts. Sie war zu spät gekommen.
»Als ich von meiner Therapiestunde nach Hause kam und sein Zimmer so unheimlich aufgeräumt vorfand, hatte ich gleich eine schlechte Vorahnung«, hatte sie an Leeks Brust geschluchzt, kaum dass er, drei Tage später, zur Tür hereingeeilt war. Zum Zeitpunkt von Moons Verschwinden war Leek nämlich in den Bergen gewesen, um dort in Ruhe zu malen. Jedenfalls hatte er uns so seine Abwesenheit und Handylosigkeit während der ersten zweiundsiebzig moonlosen Stunden erklärt.
»Ob es stimmt, wissen die Götter«, sagte ich zu Kendra am Telefon. »Aber im Grunde ist es ja egal. Vielleicht war er bei seiner Stewardess, vielleicht hat er ja auch schon wieder etwas Neues aufgetan.«
Nachdem Rosie jedenfalls Moons hotelsuiteartig aufgeräumtes Zimmer gesehen hatte, war sie argwöhnisch im leeren Haus herumgetappt und hatte als Nächstes seine Botschaft auf dem Küchentisch gefunden.
Muss mich suchen gehen! Moon , hatte er in ungewohnt schlecht leserlichen Buchstaben auf einen nicht sehr ordentlichen Zettel geschmiert. Das alles war sehr moonuntypisch.
Und dann hatte sich Rosie mit Godot auf die Suche nach Moon gemacht.
»Hat sie ihn etwa an einem alten Socken von Moon schnuppern lassen und ihn dann als Spürhund benutzt?«, fragte Gershon, den ich am Tag nach Dem-ersten-Mal-Sex-in-meinem-Leben ebenfalls in die laufenden Geschehnisse einweihte.
»Ihr hattet – was?«, schrie Kendra, als ich ihr wiederum während eines anderen Telefongesprächs eine Andeutung in diese Richtung machte.
»Nein, sie hat Godot mitgenommen, weil es sie beruhigte, etwas Vertrautes bei sich zu haben, glaube ich«, sagte ich zu Gershon und ließ mich von ihm in den Arm nehmen.
»Ich erzähle es dir ein andermal«, sagte ich zu Kendra. »Eigentlich war
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