Wenn du stirbst, zieht dein ganzes Leben an dir vorbei, sagen sie
lassen. Immer wenn ich die Augen schlieÃe, stelle ich mir schon den ganzen Morgen das Gefühl von Kent McFullers Lippen vor, die so leicht wie Schmetterlingsflügel über meine streichen; den Lichtreif, derseine Locken umspielt, und wie sich seine Arme anfühlten, als er mich festgehalten hat. Ich lehne den Kopf ans Fenster. Dort spiegelt sich mein Lächeln wider, das breiter und breiter wird, während Lindsay die Zwölftklässlergasse hoch- und runterfährt und flucht, weil uns Sarah Grundel den letzten freien Parkplatz weggeschnappt hat.
Anstatt Elody und Lindsay zum Hauptgebäude zu folgen, murmele ich eine Entschuldigung von wegen Kopfschmerzen und biege Richtung Gebäude A ab, wo das Krankenzimmer ist. Dort werden am Valentinstag die Rosen aufbewahrt und ich muss ein paar Ãnderungen vornehmen. Okay, vielleicht ist Lügen auf der Skala der guten Taten nicht wirklich hundert Prozent koscher (erst recht nicht die besten Freundinnen belügen), aber es ist für einen sehr, sehr guten Zweck.
Das Krankenzimmer ist lang und schmal. Normalerweise stehen an den Längswänden zwei Reihen Krankenbetten, aber sie sind alle rausgeräumt und durch riesige Klapptische ersetzt worden. Die schweren Vorhänge, die den Raum sonst so dunkel machen wie ein Kino, sind offen und das Zimmer erstrahlt buchstäblich vor Licht. Es wird von den Metallschränken reflektiert und glitzert zickzackförmig über die hellen weiÃen Wände. Ãberall sind Rosen â sie quellen von ihren Tabletts, stehen in Ecken, einige von ihnen liegen sogar mit zertrampelten Blütenblättern auf dem Boden verstreut â und wenn man nicht wüsste, dass System dahintersteckt und sie aus einem bestimmten Grund hier sind, würde man glauben, dass irgendjemand eine Art Rosenbombe gezündet hat.
Ms Devane, die normalerweise den Valentinstag organisiert, ist nicht da, aber drei kichernde Liebesboten beugen sich über einen Behälter. Als ich reinkomme, zucken sie zusammen und fahren zurück. Sie haben offensichtlich die Nachrichten gelesen. Ein komischer Gedanke: diese kleinen Papierstücke, Wortschnipsel, angedeuteten Komplimente und zweifelhaften Komplimente und gebrochenen Versprechen und halben Wünsche und Beinahe-Ausdrücke dessen, was man wirklich sagen will â sie verraten nie die ganze Geschichte oder auch nur die Hälfte davon. Ein Raum voller Wörter, die fast wahr sind, aber nicht ganz. Jede Nachricht flattert am Stängel ihrer Rose wie ein gebrochener Schmetterlingsflügel. Keins der Mädchen spricht mich an, als ich zwischen den Tischen hindurchgehe und die Etiketten auf den Tabletts nach dem S absuche. Ich bezweifle, dass jemals irgendjemand in den Rosenraum geplatzt ist, geschweige denn eine Zwölftklässlerin. SchlieÃlich finde ich das Tablett mit der Aufschrift: StâTa . Da liegen fünf oder sechs Rosen für Tamara Stugen und ein halbes Dutzend für Andrew Svork und drei für Burt Swortney, der den unmöglichsten Namen hat, den ich seit langem gehört habe. Und da ist sie: die einzelne Rose für Juliet Sykes, um deren Stängel vorsichtig eine Nachricht geschlungen wurde. Nächstes Jahr vielleicht , aber wahrscheinlich nicht . Nächstes Mal vielleicht, aber wahrscheinlich nicht.
»Ãh ⦠kann ich dir irgendwie helfen?« Eins der Mädchen rückt einen knappen Meter vor. Sie hat die Hände ineinander verschlungen und ist vor Schreck wie gelähmt.
Juliets Rose ist dünn und jung, zartrosa gesprenkelt. Die Blütenblätter sind noch geschlossen. Sie ist noch nicht aufgeblüht.
»Ich brauche Rosen«, sage ich. »Viele Rosen.«
KORREKTUREN UND ÃNDERUNGEN
Als ich den Rosenraum verlasse, bin ich aufgekratzt und energiegeladen, als hätte ich gerade drei Mocha Latte bei Caffeine Rush im Einkaufszentrum getrunken. Ich habe Juliets einzelne Rose durch einen riesigen Strauà ersetzt â für zwei Dutzend Stück habe ich vierzig Dollar hingeblättert. Daran hängt eine Nachricht in Blockschrift: Dein heimlicher Verehrer . Ich wünschte nur, ich könnte dabei sein, wenn sie sie bekommt. Ich bin mir sicher, dass das ihren Tag besser macht. Mehr als das: Ich bin mir sicher, dass dann alles in Ordnung sein wird. Sie wird sogar mehr Rosen haben als Lindsay Edgecombe. Ich muss daran denken, wie Lindsay die Augen aus dem Kopf fallen werden, wenn sie sieht, dass Juliet
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