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Wenn du stirbst, zieht dein ganzes Leben an dir vorbei, sagen sie

Titel: Wenn du stirbst, zieht dein ganzes Leben an dir vorbei, sagen sie Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lauren Oliver
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in der fünften Stunde zusammenbricht und auf dem Klo heult, weil Justin Streamer vor drei Jahren am Valentinstag mit ihr Schluss gemacht hat und damit ihr Schicksal, nur halb beliebt zu sein, für immer besiegelte, und ich gucke aus dem Fenster und sehe Ridgeview in verschwommenem Grau vorbeiziehen. Ich versuche mir vorzustellen, wie in nur wenigen Monaten die Bäume ihre winzig kleinen Zweige in den Himmel schießen lassen und ein leiser Hauch aus Blumen und Grün wie Nebel über allem versprüht wird. Und dann, ein paar Monate später, wird die ganze Stadt grün explodieren: mit so vielen Bäumen und so viel Gras wird sie aussehen wie ein Gemälde, das noch tropfnass ist. Ich kann mir vorstellen, wie das Grün unter der Oberfläche der Welt wartet, als müssten nur noch die Dias in den Projektor geschoben werden, und schon wäre der Sommer da.
    Und da kommt Elody auf ihren Schuhen über den Rasen gewackelt, ohne Winterjacke und die Arme um sich geschlungen. Als ichsie dort so strahlend und lebendig ankommen sehe, ist meine Erleichterung dermaßen groß, dass ich laut kreischend auflache. Lindsay sieht mich mit hochgezogenen Augenbrauen an.
    Â»Sie wird erfrieren«, sage ich japsend zur Erklärung.
    Lindsay dreht den Finger neben ihrem Ohr. »Sie hat einen an der Waffel.«
    Â»Hat jemand Waffel gesagt?«, fragt Elody, als sie ins Auto steigt. »Ich bin kurz vorm Verhungern.«
    Ich drehe mich um, um sie anzusehen. Nur mit Mühe kann ich mich zurückhalten, auf den Rücksitz zu klettern und mich auf sie zu stürzen. Ich verspüre den unwiderstehlichen Drang, sie zu berühren, mich zu vergewissern, dass sie wirklich echt ist und hier und am Leben . Auf eine gewisse Art ist sie die Mutigste und Sensibelste von uns allen. Ich wünschte, ich könnte ihr das irgendwie sagen.
    Â»Was denn?« Elody sieht mich naserümpfend an und mir wird bewusst, dass ich sie anstarre. »Was ist los? Habe ich Zahnpasta auf der Nase oder so was?«
    Â»Nein«, sage ich und schon wieder perlt das Lachen in mir hoch, eine Woge aus Glück und Erleichterung. Dieser Augenblick könnte meinetwegen ewig dauern. »Du siehst wunderschön aus.«
    Lindsay kichert und mustert Elody im Rückspiegel. »Da liegen Bagels unter deinem Hintern, Schöne .«
    Â» Mhmm , Arschbagel.« Elody greift in die Tüte und holt einen halb zerquetschten Bagel heraus, von dem sie theatralisch ein Riesenstück abbeißt. »Schmeckt nach Victoria’s Secret.«
    Â»Schmeckt nach String-Kordel«, sage ich.
    Â»Schmeckt nach Arschritze«, sagt Lindsay.
    Â»Schmeckt nach Furz«, sagt Elody und Lindsay spuckt Kaffee übers Armaturenbrett und ich kann gar nicht mehr aufhören zu lachen,und den ganzen Weg zur Schule über denken wir uns Geschmacksrichtungen für Arschbagels aus. Das hier – mein Leben, meine Freundinnen – sind vielleicht schräg oder verrückt oder unvollkommen oder fehlerhaft oder sonst was, aber es hat mir noch nie so sehr gefallen.
    Als wir auf den Schulparkplatz fahren, brülle ich Lindsay zu, sie soll anhalten. Sie steigt auf die Bremse und Elody flucht, als sie sich mit Kaffee bekleckert.
    Â»Verdammte Scheiße!« Lindsay legt eine Hand auf die Brust. »Du hast mich zu Tode erschreckt.«
    Â»Oh … äh. Entschuldigung. Ich dachte, ich hätte Rob gesehen.« Weiter vorne sehe ich Sarah Grundels Chevrolet fünfzehn Sekunden vor uns in die Zwölftklässlergasse einbiegen. Die Sache mit dem Parkplatz ist eine Kleinigkeit, ein Detail, aber heute will ich nichts falsch machen. Ich will kein Risiko eingehen. Das ist wie bei dem Spiel, das wir immer gespielt haben, als wir klein waren, wo man auf keinen Spalt im Bürgersteig treten durfte, weil es bedeutete, dass man sonst seine Mutter umbrachte. Selbst wenn man nicht daran glaubte, achtete man darauf, richtig aufzutreten, für alle Fälle. »Tut mir leid. Meine Schuld.«
    Lindsay verdreht die Augen und gibt wieder Gas. »Du wirst ja jetzt hoffentlich nicht zu so einer komischen Stalkerin.«
    Â»Lass sie in Ruhe.« Elody beugt sich vor und tätschelt mir die Schulter. »Sie ist bloß nervös wegen heute Nacht.«
    Ich beiße mir auf die Lippen, um nicht zu kichern. Wenn Lindsay und Elody auch nur die geringste Ahnung hätten, was mir wirklich durch den Kopf geht, würden sie mich wahrscheinlich einweisen

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