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Wenn du wiederkommst

Titel: Wenn du wiederkommst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Mitgutsch
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sehe die dreißig Jahre in diesem Haus wie etwas Abgeschlossenes, Fremdes und zugleich Geliebtes, Verlorenes, dem sich nun nichts mehr hinzufügen läßt. Jetzt kann ich mir die uneingeschränkte Liebe ohne Hoffnung und ohne Angst vor Veränderungen leisten. Immer noch ertappe ich mich dabei, daß ich auf Jeromes Anruf warte, noch immer scheut mein Bewußtsein vor der Wirklichkeit zurück und versucht sich darauf einzurichten, daß das alte Leben in absehbarer Zeit zurückkehrt. Bei dieser Hoffnung stellt sich für Augenblicke fast eine glückliche Erwartung ein. Inzwischen weiß ich, wie verräterisch und unbelehrbar Gefühle sind.
    Schließlich erklärt sich die Tochter einer von Jeromes Cousinen bereit, die beiden Katzen zu sich zu nehmen. Zu zweit kauern sie mit verschreckten, argwöhnischen Augen in ihrem Käfig, als die junge Frau sie aus dem Haus trägt. Dann wird es noch stiller und leerer in den Räumen. Ein paar Wochen später erfahre ich, daß Jeromes roter Kater tot ist. Drei Monate lang war er auf dem Fenstersims gesessen, hatte sich hie und da mit gespitzten Ohren aufgerichtet und die Straße entlanggespäht. Als er an einen Ort gebracht wurde, an dem Jerome ihn nicht mehr finden würde, hörte er auf zu fressen, verkroch sich unter Möbeln und starb.

    Den ganzen Sommer lang fährt gegen Abend ein bunt bemalter Ice Cream-Wagen durch die Straßen, und die vertraute Filmmelodie aus Der Clou , die den Kindern sein Kommen ankündigt, nähert sich, vermischt sich mit den Sommergeräuschen und ebbt in der Ferne wieder ab, selten hält er an, die meisten Kinder sind im Ferienlager oder in den Sommerhäusern ihrer Eltern am Meer. Die immer gleiche, ausgeleierte Melodie hat an den langen Juliabenden den melancholischen Beigeschmack aller Erinnerungen an Verlorenes und tröstet mich. An einem Abend im August, als sich bereits ein wenig herbstliche Frische in die sommerliche Trägheit mischt und die Luft wie aus Goldpartikeln gewebt scheint, bleibt der Ice Cream-Wagen vor unserem Haus stehen, aber diesmal spielt er eine andere Melodie, und es ist eine von den Melodien, die Jerome oft beim Nachhausekommen gepfiffen hatte. Er hatte ein Repertoire, das ich durch seine Stimme kennenlernte, bevor ich das Original zu hören bekam, Hit the Road, Jack and don’t you come back, no more , no more, sang er gern, das Schiffmit acht Segeln der Seeräuber-Jenny war unser Protestsong, dann fühlten wir uns als Komplizen gegen die Ungerechtigkeiten der Welt.
    Ein kleines Mädchen ist aus dem gegenüberliegenden Haus gelaufen, und während es auf das Eis wartet, wiederholt die Melodie sich immer von neuem direkt vor meinem Küchenfenster, und ich stehe mit angehaltenem Atem da und schaue hinaus und wünsche mir, daß er nicht weiterfahre, daß er nie mehr aufhöre, das Lied zu spielen, daß dieser Augenblick wie der Tod in die Ewigkeit hinüberginge. Es kommt mir vor, als habe Jerome mir dieses Abschiedsständchen geschickt, um mich in der Einsamkeit des Abends zu trösten.
    Im August fahren wir, Ilana und ich, nach Cape Cod. Der erste Aufenthalt in unserem Cottage ohne Jerome, aber seit
seinem Tod ist fast alles das erstemal und zugleich immer auch das letztemal. Blackthorn heißt das Haus, nach dem Haupteigentümer John Black, Harolds früherem Schwager, und drei Generationen der Black-Familie lärmen durch das Haus. Kinder werden vom Sand gesäubert, streitende Geschwister durch erwachsenes Gezeter getrennt, man ruft zum Essen oder zum Aufbruch an den Strand. Auch Ilana nimmt an diesem Ferienleben teil, in dem man sich, erschrocken über den fehlenden Alltag, rasch eine neue Routine auferlegt, als seien diese Sommerwochen ein anstrengendes Projekt mit täglichen Gruppenmigrationen und Geselligkeitsritualen. Sie hat die Veranlagung ihres Vaters, unter Menschen mühelos ihren Platz zu finden, ihre Vorschläge werden begeistert aufgenommen.
    Niemand redet über Jerome, auch wir beide nicht, außer in den wenigen Augenblicken, in denen wir allein sind. Dann erinnern wir uns an Episoden, die wir schon fast vergessen hatten und deren Auftauchen uns entzückt, als hätten wir etwas Verlorengegangenes unverhofft gefunden. Erinnerst du dich an das Geisterspiel? fragt sie. Ich sehe Jerome vor mir, wie er von Zimmer zu Zimmer trabt, mit der Dreijährigen auf dem Rücken, und die Schutzgeister der Räume aufweckt, hallo, Kellergeist, die Badezimmertür aufstößt, hi, alter Wassergeist, hallo, Kleidergeist, hallo, Treppengeist, sie wurde

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