Wenn ein Reisender in einer Winternacht
mich stört, wenn ein Roman am Anfang so ein Gefühl der Verwirrung erzeugt, aber wenn der erste Eindruck gleich Nebel ist, fürchte ich, wenn der Nebel sich auflöst, vergeht auch meine Freude am Lesen.«
Du nickst nachdenklich. »Ja, diese Gefahr besteht hier tatsächlich.«
»Ich ziehe Romane vor«, erklärt sie, »die mich sofort in eine Welt versetzen, wo alles präzise, konkret und genau definiert ist. Es befriedigt mich sehr zu wissen, daß die Dinge so und nicht anders sind, auch die gewöhnlichsten Dinge, die mir im Leben nicht weiter bedeutsam erscheinen.«
Stimmst du ihr zu? Dann sag's ihr: »O ja, diese Art Bücher sind schon was wert.«
Sie fügt hinzu: »Trotzdem ist auch dieser Roman interessant, das will ich gar nicht bestreiten.«
Mach weiter, laß das Gespräch nicht versickern. Sag irgendwas. Hauptsache, du redest: »Lesen Sie viele Romane? Ja? Ich auch, jedenfalls einige, obwohl mir Sachbücher eher liegen. ..« Ist das alles, was du zu sagen hast? Fällt dir sonst nichts ein? Na, dann gute Nacht! Warum fragst du sie nicht: »Haben Sie dies hier gelesen? Und dies hier auch? Welches von beiden gefällt Ihnen besser?« Na also, bitte, jetzt habt ihr Gesprächsstoff für eine halbe Stunde.
Das Dumme ist nur, daß sie viel mehr Romane gelesen hat als du, besonders ausländische, und sie hat ein enormes Gedächtnis, spielt auf einzelne Episoden an, fragt dich zum Beispiel: »Und wissen Sie noch, was Henrys Tante sagte, als. ..« Dabei hattest du das betreffende Buch nur hervorgezogen, weil du gerade den Titel kanntest, mehr nicht; du wolltest so tun, als hättest du es gelesen, und jetzt mußt du dich mit allgemeinem Gerede durchlavieren, riskierst zum Beispiel ein Urteil wie: »Für meinen Geschmack ein bißchen schwerfällig«, oder: »Das ist so schön ironisch«, worauf sie erwidert: »Ach, wirklich, finden Sie? Würd ich nicht sagen. «, und wieder stehst du dumm da. Du verlegst dich darauf, von einem berühmten Autor zu reden, weil du mal eins oder höchstens zwei von seinen Büchern gelesen hast, und prompt geht sie auf sein Gesamtwerk los, das sie offenbar bestens kennt, spricht von diesem und jenem, und wenn sie irgendwas nicht mehr genau weiß, wird's noch schlimmer, denn nun fragt sie dich: »Und die berühmte Episode mit dem zerschnittenen Foto, wo war die doch gleich, hier oder in dem anderen Buch, ich bring das immer durcheinander. « Du antwortest etwas aufs Geratewohl, da sie ja nun durcheinander ist, und sie erstaunt: »Was? Wie? Das kann doch nicht sein. ..« - Na ja, sagen wir, ihr seid beide ein wenig durcheinander.
Halt dich lieber an das, was du gestern abend gelesen hast, sprich über das Buch, das ihr jetzt beide in Händen haltet und das euch entschädigen soll für eure jüngste Enttäuschung. »Hoffentlich«, sagst du, »sind die Exemplare diesmal in Ordnung, richtig gebunden mit den richtigen Seiten und so, damit wir nicht wieder abbrechen müssen, wenn's grad am schönsten ist, wie beim. .. (Wie beim was? Was wolltest du sagen?). .. Ich meine, hoffentlich kommen wir gut bis ans Ende.«
»O ja«, antwortet sie. Hast du gehört? Sie hat »O ja« gesagt! Jetzt mußt du den nächsten Schritt tun.
»Dann hoffe ich also, Sie mal hier wiederzutreffen, wo wir doch beide hier Kunden sind. So könnten wir unsere Leseeindrücke austauschen.« Sie antwortet: »Gern.«
Du weißt, worauf du hinauswillst, du spinnst ein feines Netz. »Am verrücktesten wär's ja, wenn sich so, wie wir erst Calvino zu lesen glaubten, und da war's Bazakbal, nun jetzt, wo wir Bazakbal lesen wollen, herausstellen würde, daß es Calvino ist.«
»Also nein, wirklich, dann verklagen wir den Verlag!«
»Wir wär's, wenn wir unsere Telefonnummern austauschen?« (Das war's, worauf du hinauswolltest, Leser, während du sie umschlichen hast wie eine Klapperschlange ihr Opfer.) »Wenn dann einer von uns in seinem Exemplar eine Unstimmigkeit entdeckt, kann er den anderen um Hilfe bitten. Zu zweit hätten wir mehr Chancen, ein komplettes Exemplar zusammenzubringen.«
So, jetzt hast du's gesagt. Was ist natürlicher, als daß zwischen Leser und Leserin durch das Buch ein Bündnis entsteht, eine Komplizenschaft, eine Beziehung?
Zufrieden kannst du den Laden verlassen, du, der du glaubtest, die Zeit sei vorbei, da man vom Leben noch etwas erwarten darf. Zweierlei Hoffnungen hast du nun, und beide versprechen dir Tage voll angenehmer Erwartung: zum einen die im Buch enthaltene Hoffnung auf eine Lektüre,
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