Wenn ein Reisender in einer Winternacht
deren Fortsetzung du kaum erwarten kannst, zum anderen die in der Telefonnummer enthaltene Hoffnung auf ein Wiederhören der abwechselnd spitzen und sanften Schwingungen jener Stimme, wenn sie deinen ersten Anruf beantwortet, den du bald, ja schon morgen tun wirst unter dem fadenscheinigen Vorwand des Buches, um sie zu fragen, wie sie es findet, um ihr zu sagen, wie viele Seiten du schon gelesen hast, um ihr ein Wiedersehen vorzuschlagen.
Wer du auch sein magst, Leser, wir fragen hier gar nicht nach deiner Person, deinem Alter, Familienstand, Beruf oder Einkommen, das wäre indiskret und geht nur dich etwas an. Entscheidend ist jedoch dein Gemütszustand, wenn du jetzt in der Abgeschiedenheit deiner vertrauten Wohnung die nötige Ruhe wiederzufinden suchst, um dich erneut in das Buch zu vertiefen. Du streckst die Beine aus, klappst sie wieder zusammen, streckst sie von neuem aus. Etwas hat sich verändert seit gestern: Du bist mit deiner Lektüre nicht mehr allein, du denkst an die Leserin, die jetzt im selben Moment auch gerade ihr Buch aufschlägt - und schon legt sich über den Roman, den du lesen möchtest, ein Roman, den du möglicherweise leben könntest, die Fortsetzung deiner Geschichte mit ihr, oder besser: der Anfang einer möglichen neuen Geschichte. Merkst du, wie du dich seit gestern verändert hast? Du, der du meintest, lieber ein Buch, eine handfeste, greifbare Sache, klar umgrenzt und risikolos zu genießen, als die gelebte Erfahrung, die immer flüchtig, unbeständig und anfechtbar ist. Was soll das nun heißen, ist dir das Buch zum bloßen Mittel geworden, zu einem Kommunikationsmedium, einem Ort der Begegnung? Jedenfalls wird die Lektüre dadurch nicht minder fesselnd, im Gegenteil, etwas ist hinzugekommen, um ihren Reiz noch zu steigern.
Bei dem neuen Buch sind die Seiten noch unaufgeschnitten: ein erstes Hindernis, das sich deiner Ungeduld entgegenstellt. Bewaffnet mit einem guten Papiermesser schickst du dich an, in seine Geheimnisse einzudringen. Mit einem kräftigen Schnitt bahnst du dir den Weg vom Titelblatt zum Beginn des ersten Kapitels. Und gleich.
Gleich auf der ersten Seite entdeckst du, daß der Roman, den du da in Händen hast, nicht das geringste mit dem von gestern zu tun hat.
Vor dem Weichbild von Malbork
Ein Geruch von Gebratenem schlägt dir beim Öffnen der Seite entgegen, von Angebratenem, angebratenen Zwiebeln, leicht angebrannt, weil in den Zwiebeln Äderchen sind, die erst lila und dann braun werden, und besonders weil sich die Ränder der feingeschnittenen Zwiebelscheibchen erst schwärzen, bevor sie golden werden, es ist der Zwiebelsaft, der da verkohlt, wobei er eine Skala von Farb- und Geruchsschattierungen durchmacht, alle umhüllt vom Geruch des leicht siedenden Öls. Eines Rapsöls, wie der Text präzisiert, der alles sehr präzise benennt, die Dinge mit ihrer Nomenklatur und die Eindrücke, die diese Dinge vermitteln, die vielen Gerichte, die alle gleichzeitig brutzeln und schmoren und sieden und kochen auf dem mächtigen Küchenherd, jedes in seinem genau benannten Behälter, die Pfannen, die Tiegel und Töpfe, desgleichen die Tätigkeiten, die für jede Zubereitung erforderlich sind, das Bestäuben mit Mehl, das Schaumigschlagen der Eier, das Zerschneiden der Gurken in feine Scheibchen, das Spicken des Brathuhns vor dem Einschieben in die Röhre. Hier ist alles sehr handfest, körperlich greifbar und mit sicherer Kompetenz beschrieben, jedenfalls hast du als Leser den Eindruck von Kompetenz, obwohl auch Gerichte vorkommen, die du nicht kennst, bezeichnet mit Namen, die der Übersetzer vorzog, in der Originalsprache zu belassen, zum Beispiel Schoeblintsjia, doch wenn du Schoeblintsjia liest, kannst du auf die Existenz der Schoeblintsjia schwören, kannst förmlich ihren Geschmack auf der Zunge spüren, auch wenn im Text nicht gesagt wird, welchen Geschmack sie hat, einen säuerlichen Geschmack, teils weil dir das Wort mit seinem Klang oder auch nur mit seinem Aussehen einen säuerlichen Geschmack suggeriert, teils weil du in dieser Symphonie von Gerüchen, Geschmäcken und Wörtern das Bedürfnis nach einer säuerlichen Note verspürst.
Beim Kneten der Hackfleischbällchen in dem mit geschlagenen Eiern durchtränkten Mehl legt sich auf die stämmigen roten, mit goldbraunen Sommersprossen gesprenkelten Arme von Brigd ein feiner Mehlstaub, durchsetzt mit Tupfern von rohem Fleisch. Jedesmal, wenn sich Brigd mit dem Oberkörper über den Marmortisch beugt, heben
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