Wenn ein Reisender in einer Winternacht
dieses Wägen des eigenen Einsteckvermögens, beides dem Bild deiner selbst angepaßt, das der Gegner dir spiegelbildlich zurückwirft. Doch wenn nun deine beim Lesen geweckten Gefühle dürftig bleiben im Vergleich zu allen erlebten Gefühlen, so auch, weil das, was ich empfinde, während ich meine Brust gegen Ponkos Brust drücke und mich seinem Versuch, mir den Arm auf den Rücken zu drehen, erwehre, nicht die Empfindung ist, die ich brauchte, um auszudrücken, was ich ausdrücken möchte, nämlich mein Liebesverlangen nach Brigd, nach der Festigkeit jenes Mädchenleibes, die so verschieden ist von der knochigen Härte Ponkos, und zugleich auch mein Liebesverlangen nach Zwida, nach der schmelzenden Weichheit, die ich mir bei Zwida vorstelle, ja nach dem Besitz einer Brigd, die ich bereits als verloren empfinde, und einer Zwida, die bislang nur die Körperlosigkeit einer Fotografie unter Glas hat. Vergeblich suche ich im Gemenge dieser einander entgegengesetzten und gleichen männlichen Gliedmaßen nach jenen weiblichen Trugbildern, die sich verflüchtigen in ihrer Andersartigkeit, und zugleich versuche ich, auf mich selbst einzuschlagen, vielleicht auf mein anderes Ich, das nun meinen Platz im Hause einnehmen wird, oder auch auf mein ursprüngliches Ich, das ich diesem anderen entziehen will. doch was ich da gegen mich drücken fühle, ist nur die Fremdheit des anderen, als hätte der andere bereits meinen Platz eingenommen und jeden Platz überhaupt, und ich wäre ausgelöscht aus der Welt.
Fremd schien mir die Welt, als ich mit einem letzten wütenden Stoß mich endlich löste von meinem Gegner und mich taumelnd vom Boden erhob. Fremd meine Kammer, der Koffer mit meinen Sachen, der Blick aus dem schmalen Fenster. Ich fürchtete, mit nichts und niemandem je wieder eine Beziehung herstellen zu können. Ich wollte hinunter, um Brigd zu suchen, doch ohne zu wissen, was ich ihr sagen sollte und was mit ihr tun, noch auch was ich wollte, daß sie mir sage und mit mir tue. Ich dachte an Zwida, während ich Brigd suchen ging, was ich suchte, war eine Gestalt mit Doppelgesicht, eine Brigd-Zwida, und ich selber war doppelgesichtig, als ich nun Ponko verließ und mich vergeblich bemühte, mit Speichel einen Blutfleck von meinem Cordanzug abzuwischen - mein Blut oder das seine, von meinen Zähnen oder aus Ponkos Nase.
Und doppelgesichtig, wie ich nun war, hörte und sah ich durch die Tür des großen Saales, wie Herr Kauderer mit einer weiten horizontalen Geste den Raum vor sich maß und sagte: »So hab ich sie liegen gesehen, Kauni und Pittö, zweiundzwanzig- und vierundzwanzigjährig, die Brust durchlöchert von Wolfskugeln.«
»Wann war denn das?« fragte mein Großvater. »Wir wissen gar nichts davon.«
»Vor der Abreise gingen wir noch zur Oktavfeier.«
»Wir hatten gedacht, die Sache zwischen euch und den Ozkharts wäre längst beigelegt. Nach so vielen Jahren müßte doch endlich Gras über eure verdammte alte Geschichte gewachsen sein!«
Herrn Kauderers wimpernlose Augen starrten ins Leere, kein Muskel rührte sich in seinem ledernen gelben Gesicht. »Zwischen den Ozkharts und den Kauderers hält der Friede stets nur von einem Begräbnis zum nächsten. Und Gras wächst nur über die Gräber unserer Toten, auf die wir schreiben: >Das haben uns die Ozkharts angetan.««
»Und was tut ihr ihnen an?« fragte Bronko, der nie ein Blatt vor den Mund nahm.
»Auch die Ozkharts schreiben auf ihre Gräber: >Das haben uns die Kauderers angetan.«« Er fuhr sich mit dem Finger leicht über den Schnauzbart. »Aber hier wird Ponko endlich in Sicherheit sein.«
Das war der Moment, da meine Mutter erschrocken die Hände zusammenschlug und ausrief: »Heilige Jungfrau, ist mein Gritzvi bei euch in Gefahr? Werden sie ihm was antun?«
Herr Kauderer schüttelte langsam den Kopf, doch ohne ihr ins Gesicht zu sehen: »Er ist kein Kauderer. Nur wir sind in Gefahr, immer!«
Die Tür ging auf. Vom warmen Urin der Pferde im Hof stieg eine Dampfwolke auf in die klare eisige Luft. Der Kutscher steckte sein rotes Gesicht herein und meldete: »Es ist angespannt!«
»Gritzvi, wo steckst du denn? Auf!« rief der Großvater. Ich tat einen Schritt auf Herrn Kauderer zu, der sich gerade den Pelzmantel zuknöpfte.
III
Das Vergnügen, das die Handhabung des Papiermessers dir bereitet, ist ein Tast-, Hör-, Seh- und vor allem ein Geistesvergnügen. Dem Fortschreiten in der Lektüre geht ein manuelles Agieren voraus, das in die materielle
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