Wenn Eltern es zu gut meinen
unternehmen können (eine Diagnose einholen, Medikamente nehmen, besondere schulische Vorkehrungen treffen), und solche Vorstellungen häufen bei Eltern nicht noch weitere Schuldgefühle an über das Maß dessen hinaus, was sie bereits als Selbstvorwurf mit sich herumtragen. Gewissenhafte Eltern neigen heutzutage dazu, zuerst sich selbst die Schuld zu geben und dann nach anderen Menschen Ausschau zu halten, die sie beschuldigen können, und gewöhnlich sind das nicht ihre Kinder.
Im vorliegenden Buch werde ich nicht viele biologische Erklärungen liefern, obwohl ich einige Befunde der Neurowissenschaft anführen werde, die uns helfen können zu verstehen, wie sich das Selbst in einem he
ranwachsenden Kind bildet und entwickelt. Ich werde auch nicht mit diesen Erklärungsmodellen streiten, auch wenn ich offen gestanden glaube, dass sie zu unserem Nachteil überstrapaziert werden. 5 Stattdessen möchte ich mich in umfassender Weise damit beschäftigen, wie wir unsere Kinder erzogen haben, als die Babyboomer erwachsen waren und selbst Eltern wurden.
Im Mittelpunkt stehen
Wie ich bereits erwähnt habe, sind zwanghafte Selbstbezogenheit, rastlose Unzufriedenheit, der Druck, au ßergewöhnlich zu sein, die Weigerung, erwachsen zu werden, Gefühle der Über- (oder Unter-)legenheit und übermäßige Versagensangst die Symptome der Selbstwertfalle bei jungen Erwachsenen und manchmal sogar bei Kindern oder Jugendlichen. Mit diesen Symptomen sind die vorhersehbaren Schwierigkeiten verbunden, die ich bei engagierten Eltern beobachte. Sowohl im therapeutischen als auch im privaten Rahmen erlebe ich gewissenhafte Eltern, die von ihren Kindern - Klein kindern, Schulkindern, Jugendlichen oder jungen Erwachsenen - unabsichtlich emotional tyrannisiert werden. Eltern scheinen gegenüber ihren kleinen Kindern das Sagen zu haben, doch selbst dann kann jede Geste eines Babys ein übermäßig hohes Maß an Aufmerksamkeit und Beachtung erfahren. Von frühester Kindheit an haben viele Kinder offensichtlich den Vorteil der Kontrolle in gesellschaftlichen Situationen. Wenn Kinder wiederholt schreien, fordern, drohen, lügen, versagen, Sonderregelungen und materielle Dinge fordern
und gleichzeitig die ihrem Alter gemäßen Pflichten missachten, sind sie in der ungünstigen Position verfrühter sozialer Macht.
Zweifellos haben Sie einen solchen Machtkampf schon einmal miterlebt oder selber mitgemacht. 6 Sie essen in einem Restaurant oder bei jemandem zu Hause zu Abend, und ein Kleinkind, Schulkind oder Teenager dominiert das Geschehen. Das Kleinkind stört mög licherweise oder rennt umher. Vielleicht sind die Eltern verlegen, peinlich berührt oder lassen es ge währen, aber es gelingt ihnen nicht, das Kind aus dem Mittelpunkt zu verbannen. Das Schulkind wird vielleicht von den Erwachsenen gebeten, Meinungen oder Fakten zu äußern, die das Wissen oder Können des Kindes demonstrieren sollen. Einige Kinder beteiligen sich einfach an jedem Gespräch in der festen Überzeugung, dass ihre Meinung willkommen ist. Der Teenager wird die Zusammenkunft wahrscheinlich eher dadurch dominieren, dass er schmollt und sich entzieht, wenn er gefragt wird, was er essen oder tun möchte. In Augenblicken, in denen Kinder dominieren, fühlen sich Erwachsene gewöhnlich unwohl, sind aber nicht bereit, Verstimmung oder Kritik zu äußern, weil sie fürchten, als herzlos und grob angesehen zu werden. Es sind doch schließlich Kinder. Sollte sich die Welt nicht um sie drehen?
Nein. Bei Kindern kann die Annahme oder Erwartung, im Mittelpunkt zu stehen, zu verzerrten Beziehungen und Selbsteinschätzungen führen, die später die Fähigkeit untergraben, sich in ein Netzwerk von Menschen einzufügen, das Geben und Nehmen in der Gemeinschaft zu akzeptieren und zu begreifen, dass sie Schwierigkeiten und Prozesse durchmachen müssen,
um etwas in der Welt der Erwachsenen zu erreichen. Vor fünfzig Jahren noch wäre eine von einem Kind dominierte gesellschaftliche Zusammenkunft undenkbar gewesen. Auch wenn Kinder vielleicht dabei waren und sich zeitweise sogar schlecht benommen haben, nahmen sie sich niemals heraus, sich in der sozialen Rangordnung mit den Erwachsenen auf die gleiche Stufe zu stellen.
Die meisten Menschen reagieren verärgert auf diese Symptome der Besonderheit bei Kindern und Eltern. Warum dauert dieses Problem also hartnäckig an, wo es doch so viele gute Bücher und überzeugende Untersuchungen zu diesem Thema gibt, neben den peinlichen
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