Wenn Eltern es zu gut meinen
wurden.
Da fürsorgliche Eltern rasch dazu neigen, sich am Leiden und Unglück ihrer Kinder die Schuld zu geben, möchte ich hier etwas noch einmal klarstellen. Das ist kein Buch, in dem es um Schuldzuweisung geht. Die Selbstwertfalle ist komplex und hat viele kulturelle
Ursachen, und sie ist nicht das absichtliche Werk fürsorglicher Eltern oder ihrer Kinder. Wenn wir sie verstehen, können wir die Verantwortung dafür übernehmen, unser Verhalten zu ändern und uns gegenseitig in diesem Prozess zu unterstützen. Meine Entscheidung, dieses Buch zu schreiben, entstand unmittelbar aus meiner tiefen Sympathie und meinem Mitleid mit heutigen engagierten Eltern und rastlosen, unglücklichen jungen Erwachsenen, die mich aufsuchen, um Hilfe zu erhalten. Wir alle sind in dem Glauben gefangen, jeder sei großartig und zum Erfolg geboren und verdiene ungewöhnliche Chancen, um ein außergewöhnlicher Mensch zu werden. Um aus dieser Falle herauszukommen, müssen wir eine neue Art von Selbstvertrauen und Mitgefühl mit uns selbst entwickeln. Auf unserem grundlegenden gemeinsamen Menschsein und Aufei nanderangewiesensein gründend, wurzelt dieses neue Vertrauen, wie ich bereits sagte, darin, normal zu sein und sich normal zu fühlen. Sich normal zu fühlen entsteht aus einer Einsicht in die Grundbedingungen menschlicher Existenz und aus der Erkenntnis, dass wir alle miteinander verbunden sind. In den 1980ern wurden wir von den Sozialforschern, die Habits of the Heart schrieben, eindringlich darauf hingewiesen, dass das einzelne Ich nie wirklich unabhängig von einem Netzwerk oder einer Gemeinschaft von Menschen sein kann; aber wir haben diesen Gedanken zu sehr aus den Augen verloren, als wir anfingen, das Besonderssein zu betonen. Was ist geschehen?
Zur Beantwortung dieser Frage werden wir zunächst einige zeitgenössische Erziehungsstile analysieren, um zu sehen, wie sie sich auf die Chance der Kinder auswirken, selbstsichere, verantwortungsbewusste
und mitfühlende Erwachsene zu werden. Überdies werden wir von innen und außen eine Reihe problematischer Entwicklungserfahrungen von Kindern beleuchten, die fürsorgliche, engagierte Eltern hatten. Wir werden Menschen ähnlich wie Adrienne, Michael und Jason kennenlernen, die alt genug sind, um die Folgen eines Erziehungsstils zu demonstrieren, der betont, dass jedes Kind zum Erfolg geboren ist. Die heutigen Familien ziehen unsere Zukunft groß. Und viele von ihnen stecken in Schwierigkeiten.
Die Welt da draußen
All unsere Bemühungen, gute Eltern zu sein, vollziehen sich in einem sozialen Kontext, der weitaus größer ist als unsere Familie und unser Freundeskreis. Das soziale Klima beeinflusst, was wir für richtig halten im Hinblick auf das, was wir tun. Wie ich bereits sagte, bekamen Eltern in den letzten Jahrzehnten von Experten zu hören, dass sie den Selbstwert ihrer Kinder stärken sollten, indem sie sie häufig lobten und ihre einzigartigen und außergewöhnlichen Begabungen würdigten. Wir leben auch in einem Klima der biologischen Erklärungsmodelle, was Kinder angeht. 3 Auch wenn Sie vielleicht so gut wie nichts über Vererbungslehre und Gene wissen, pflichten Sie vermutlich der Vorstellung bei, dass einige Verhaltensweisen Ihrer Kinder auf Veranlagung beruhen. 4
Wenn Eltern zu mir in die Therapie kommen, führen sie ihre Erinnerungen an Tante Millie und Opa Jones an, um zumindest einige der Stärken und Schwächen ihrer Kinder zu erklären. Die kleine Anna ist hyperaktiv,
weil in ihren Genen viel manische Depression steckt. Adam leidet ebenso wie sein Vater unter ADS (Aufmerksamkeitsdefizitstörung), aber Adam bekommt Medikamente dagegen und wird hoffentlich nicht wie sein Vater zum Schulversager. Die 16-jährige Sarah scheint in jüngster Zeit ziemlich depressiv zu sein und spricht viel davon, dass sie sich selbst hasst, aber das hat vermutlich mit PMS (dem prämenstruellen Syndrom) zu tun, an dem auch ihre Mutter und ihre Schwester leiden.
Eltern haben oft solche Erklärungen zur Hand, selbst wenn sie wenig über die wissenschaftliche Gültigkeit dieser Denkweise wissen. Sie stellen diese Vorstellungen nicht infrage, weil ihre Ärzte, Nachbarn, die Lehrer und Berater ihrer Kinder und ihre Freunde auch daran glauben. Mit anderen Worten: Das biologische Erklärungsmodell in Bezug auf die Schwierigkeiten ihrer Kinder wird vom sozialen Klima unterstützt. Eltern und ihre fast erwachsenen Kinder halten an ihm auch deshalb fest, weil sie etwas gegen das Problem
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