Wenn Eltern es zu gut meinen
persönliches Problem, dass uns Hindernisse und Misserfolge begegnen. Menschen haben nicht sehr viel Kontrolle über ihr Leben, selbst wenn sie für ihre Handlungen und Entscheidungen verantwortlich sind. Da die Dinge unweigerlich nicht so laufen, wie wir es gern hätten - und wir am Ende überdies alle krank werden und sterben -, müssen wir lernen, realistisch und mitfühlend auf Schmerz, Verlust und Schwierigkeiten zu reagieren. Wenn wir normal sind, erkennen wir, dass wir Schwierigkeiten nicht entrinnen, aber aus ihnen lernen können. Aus Schwierigkeiten und Verlust zu lernen, wird zur Grundlage einer fundamentalen Weisheit, wie wir unser Leiden in Einsicht und Mitgefühl für uns selbst und andere verwandeln können.
Unlängst befasste sich ein ausführlicher Artikel im New York Times Magazine mit wissenschaftlichen Untersuchungen über Weisheit, die zurzeit an verschie denen Universitäten in Amerika und anderen Ländern durchgeführt werden. Besonders ein Absatz fiel mir ins Auge:
Woher kommt Weisheit, und wie erwirbt man sie? Überraschenderweise deutet viel von dem Material, das aus Fallstudien und empirischen Erhebungen gewonnen wurde, darauf hin, dass die Saat der Weisheit früh im Leben gelegt wird - ganz gewiss vor dem Altwerden, oft vor dem mittleren Alter und mög licherweise sogar bevor wir erwachsen werden. Und es gibt gewichtige Hinweise darauf, dass Weisheit damit in Verbindung steht, dass man früh im Leben Schwierigkeiten oder Misserfolgen ausgesetzt war. 18
Schwierigkeiten können uns stärken und sogar dem Gefühl von Sinn und tieferem Glück die Tür öffnen, das entsteht, wenn wir anderen helfen. 19 Und so müssen wir uns selbst wiederholt eingestehen, dass Unzufriedenheit ein Teil des Lebens ist. Keiner entrinnt ihr, kein Ausmaß an Besitz oder Status kann uns davor schützen. Je eher Kinder dies begreifen, desto leichter fällt es ihnen zu akzeptieren, dass Misserfolge, Stress und Verlust zu erwarten sind, ohne dass sie sich selbst oder anderen die Schuld daran geben.
Wenn Kinder irrtümlich meinen, dass eigene Leis tungen, Besitz oder Status sie glücklich machen und ihrem Leben Sinn geben werden, nehmen sie (als Heranwachsende oder Erwachsene) an, dass etwas mit ihrem Selbst nicht stimmt, wenn diese Dinge nicht die erwünschten Ergebnisse liefern. Sie werden in die Selbstwertfalle gehen: Sie werden sich als unvollkommen (nicht klug, hübsch, begabt, schnell oder schlau genug) betrachten und Hass auf sich selbst entwickeln, indem sie ihre unerwünschten Eigenschaften über- und ihre positiven Eigenschaften untertreiben.
Ohne es zu wollen, haben fürsorgliche und engagierte Eltern ihre Kinder dieser Falle der Versagensangst und Verzweiflung ausgeliefert. Wir werden jedoch feststellen, dass es viele Möglichkeiten für junge Erwachsene gibt, sich aus dieser Falle zu befreien, und dass Eltern mit Kindern jeden Alters sich und ihre Kinder an einer neuen Art von Selbstvertrauen ausrichten können, das auf Normalität, Interdependenz und Autonomie beruht. Um dies sehenden Auges zu tun, müssen wir begreifen, was schiefgelaufen ist und warum, als die Babyboomer Eltern wurden.
KAPITEL 2
Die Wurzeln des Problems
Wenn man gegenüber jemandem unter fünfzig den Begriff »Babyboomer« für die geburtenstarken Nachkriegsjahrgänge gebraucht, erntet man leicht einen abwesenden Blick. Der Gedanke, der letzten Generation - insbesondere den Eltern - zuzuhören und von ihr zu lernen, ist nicht populär. Doch wenn wir nicht wissen, was geschah, bevor wir unseren Weg durch die Welt angetreten haben, haben wir vermutlich eine verworrene und unrealistische Einschätzung unserer ge genwärtigen Situation. Für viele Angehörige der Generation Ich scheint jedoch sogar die Rebellion gegen die Eltern der Vergangenheit anzugehören. Da sie meinen, den Älteren ebenbürtig zu sein, und vom bleibenden Wert ihrer eigenen Jugendkultur überzeugt sind, nehmen Heranwachsende und junge Erwachsene der Gene ration Ich Menschen, die älter sind als sie, einfach als irrelevant wahr. Viele haben Bedenken, bei Älteren irgendeinen Rat außer in den profansten Angelegenheiten einzuholen, weil sie nicht zu ihren Eltern aufgeschaut haben und daher nun niemandem Vertrauen oder Respekt entgegenbringen, der zu ihrer Elterngeneration gehört. Diese abgebrochene Verbindung führt zu der Tendenz, traditionelle gesellschaftliche Umgangsformen in Beruf und Schule abzulehnen.
Ein 55-jähriger Professor berichtete mir von seiner
Weitere Kostenlose Bücher