Wenn Eltern es zu gut meinen
Auch wenn wir es nicht in Worte fassen konnten: Wir wollten um unserer selbst willen als wichtig und wertvoll wahrgenommen werden. Unglücklicherweise bedeutete das, dass schon die Babyboomer wiederholt die »Generation Ich« genannt wurden. 4 Diese kritische Bezeichnung verweist auf das Symptom statt auf die Ursachen des Problems. Wir suchten das Rampenlicht nicht nur für uns selbst allein, sondern versuchten herauszufinden, ob wir uns mit uns selbst wohl fühlen und gleichzeitig auch anderen nah sein konnten. In unserer Kindheit war das nicht möglich gewesen. Die Babyboomer erfanden eine Generationentherapie, um sich selbst zu heilen - angefangen von der kulturellen Bewegung, die sich Liebe, Frieden und Verständnis auf die Fahnen geschrieben hatte (und aus der erst später Sex, Drogen und Rock’n’ Roll wurde). Wir versammelten uns in Großgruppen (Rockkonzerten) und Kleingruppen (Bewusstseinserweiterung), um uns selbst den Frieden und die Liebe zu geben, nach denen wir uns kollektiv sehnten. Schließlich definierten wir unser Problem als geringen Selbstwert und entwickelten viele Therapien und Bewegungen,
die uns helfen sollten, mehr mit uns in Einklang zu kommen. Aber das war nicht die »Ich bin okay«-Revolution; es war die »Ich bin okay, du bist okay«-Revolution, wie der Titel eines populärpsychologischen Bestsellers der damaligen Zeit lautete. 5 Wir schenkten den Gefühlen anderer genauso viel Aufmerksamkeit wie unseren eigenen.
Als wir - die Babyboomer - schließlich Eltern wurden, ließen wir all unsere Ängste im Hinblick auf Selbstwert und Selbstvertrauen in die Kindererziehungsstrategien einfließen, die unsere eigenen Heilmittel imitierten. Wir wollten das individuelle Ich unserer Kinder bestätigen und ihnen helfen, natürlich aufzuwachsen; sie sollten sich wie Blumen in der Sonne unseres positiven Blickes öffnen. Wir glaubten irrtümlich, sie würden aufblühen, wenn sie nur genügend Lob, Akzeptanz und Respekt für ihre eigenen Gedanken und Gefühle erhielten. Wir hielten das nicht für Verwöhnen, sondern für simple Fürsorge.
Leider sind Kinder keine Blumen. Wir haben Selbstwert und Selbstvertrauen falsch verstanden. Sie kommen nicht daher, dass man sich mag oder dafür gelobt wird, dass man einfach nur da ist. Sie entstehen als Nebenprodukte davon, dass man Dinge gut macht, eine Haltung der Selbstachtung entwickelt, indem man die eigenen Stärken und Schwächen erkennt, lernt, normal zu sein, und die Regeln und Vorzüge der Interdependenz beherrscht - also auch, wie man sich als Anfänger in eine Hierarchie einordnet und von Älteren lernt. Unbeabsichtigt entwarfen die Babyboomer Praktiken der Kindererziehung, die bei ihren Kindern zu Symptomen der Besonderheit führten statt zu einem soliden Fundament des Selbstvertrauens und Selbstwerts.
Als Reaktion auf die »Generation SIE« ihrer Kindheit gründeten die Babyboomer eine kulturelle Bewegung, die unbewusst darauf abzielte, die emotionale Unausgewogenheit ihrer Ursprungsfamilien zu korrigieren. Verständlicherweise wollten sie in ihren Beziehungen ein Arrangement, bei dem jeder gewann; sie nahmen bei Streitigkeiten und Konflikten eine »Ich bin okay, du bist okay«-Haltung ein, die Gemeinsamkeit, Gegenseitigkeit und Gleichheit hervorhob und den Dialog in allen Aspekten des Konflikts förderte. Dieser Strategie zufolge ist es wichtig, dass beide Parteien sich als Ebenbürtige respektiert fühlen. Leider funktioniert die »Ich bin okay, du bist okay«-Formel in der Erziehung nicht so gut wie in der Freundschaft und Ehe.
Die »Ich bin okay, du bist okay«-Erziehung
Unter heutigen Eltern (ob aus den geburtenstarken Jahrgängen mit schon größeren Kindern oder aus der Generation danach mit kleineren Kindern) gibt es mittlerweile ein ganzes Spektrum von »Ich bin okay, du bist okay«-Erziehungsstilen, die man »Laissez-faire«, »Helikopter« und »Rollentausch« nennen könnte. Allen drei Typen ist die Überzeugung gemein, dass Eltern und Kinder im Hinblick auf Rechte und Bedürfnisse annähernd gleich sind, dass Eltern die Freunde ihrer Kinder sein sollten und dass das Selbstwertgefühl der Kinder um jeden Preis gefördert und geschützt werden muss. Aber der jeweilige Stil der drei Typen unterscheidet sich.
Die Laissez-faire-Erziehung
Bei diesem Erziehungsstil gehen Eltern in ihrem Versuch, Autoritäten zu sein, indirekt, nicht konfrontativ, vage und freundlich vor. 6 Diese Art Eltern, oft aus den Babyboomern, glauben, dass sie so
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