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Wenn Eltern es zu gut meinen

Titel: Wenn Eltern es zu gut meinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polly Young-Eisendrath
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nachdenken, in dem die Babyboomer aufwuchsen.
    Die Weltwirtschaftskrise und der Zweite Weltkrieg hatten zur Folge, dass die Eltern der Babyboomer sorgenvoll, ängstlich und darauf fixiert waren, die Welt zu einem besseren Ort zu machen. Sie wollten einen Nachwuchs aufziehen, der fähig war, zu überleben, ganz gleich, was kam. Die fortlaufende Bedrohung durch den Kalten Krieg zeigte sich in Form von Luftalarm übungen und Luftschutzbunkern, die sie im Falle eines Dritten Weltkriegs beschützen sollten. Viele Väter hatten am eigenen Leibe das Trauma und Elend des Krieges und die von ihm bewirkten Verwüstungen kennengelernt. Die Erfahrung der ökonomischen Verwund barkeit und die Erinnerungen an den Krieg und seine Bedrohungen überschatteten besonders die Väter und machten sie emotional unzugänglich, zerstreut und grüblerisch. Auf die Familien wirkten weitere einma lige Bedingungen ein, die sich von denen vorhergehender Generationen unterschieden.
    Erstens tendierten die Menschen dazu, in Kleinfamilien zu leben, getrennt und abgeschnitten von den weitläufigeren Verwandten. 2 Wie mein Viertel waren auch andere Gemeinden homogen und entweder nach oben hin durchlässig oder bestrebt, es zu sein, oder sie litten zumindest darunter, dass sie es nicht waren. Die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg war eine Phase des wirtschaftlichen Aufschwungs und der Ausdehnung der Mittelschicht, und die Väter wollten jeden Vorteil nutzen, um beruflich voranzukommen und ihre Familien voranzubringen. Folglich waren sie tagsüber die meiste Zeit von zu Hause fern, nicht nur am anderen
Ende der Straße oder der Wiese (wie zu der Zeit, als man noch nicht mit dem Auto zur Arbeit fuhr), sondern Meilen entfernt.
    Die Frauen, die während des Krieges in den Fabriken gearbeitet hatten, wurden an den Herd zurückgeschickt, um sich ausschließlich ihrer neuen Aufgabe, der Mutterrolle, zu widmen. Sie sollten perfekte Hausfrauen werden, etwas, was ihre eigenen Mütter einfach ge wesen waren, ohne es eigens zu benennen oder groß zu erwähnen. Die Mütter wurden vom sozialen Netz abgeschnitten, eingepfercht in kleine Haushalte, wo sie sich mit der Fantasiewelt der Betty-Crocker-Kochbücher statt mit der Realität ihrer eigenen Mütter verglichen. Man gab ihnen konstant das Gefühl, dass sie keine Option im Leben hatten, hauptsächlich wegen ihrer wirtschaftlichen Abhängigkeit. Frühere Müttergene rationen hatten das Aufziehen von Kindern und die Haushaltsführung von ihren eigenen Müttern oder älteren Schwestern gelernt (die in der Nähe zu wohnen pflegten). Im Gegensatz dazu sollten diese Mütter nun von Experten wie Dr. Spock lernen, die nicht in der Nähe waren, um ihre Schwierigkeiten zu sehen oder sie zu trösten.
    Das System der Kleinfamilie mit seiner Wurzellosigkeit setzte auch Paare unter den neuen Druck, eine eheliche »Romanze« oder eine Art von enger Partnerschaft miteinander zu entwickeln. Ohne besondere Befähigung und Vorbilder dafür fühlten sich sowohl Männer als auch Frauen in ihrer Ehe als furchtbare Versager. Sie gaben sich gegenseitig die Schuld daran. Meine Eltern hatten nicht gelernt, Freundschaft mit dem anderen Geschlecht zu schließen, und stritten unaufhörlich, weil ihre Herkunftsfamilien denkbar
verschieden waren und meine Mutter viele Dinge von meinem Vater erwartete, die er gar nicht geben konnte. Sie glichen miteinander verfeindeten Stämmen. Aus Tausenden Stunden von Paartherapie weiß ich, dass in vielen anderen Familien zu Hause jeden Tag eine ganz ähnliche Atmosphäre des Kalten Krieges herrschte.
    All dies forderte dem emotionalen Leben der Mütter und Väter einen hohen Tribut ab, aber es waren die Mütter, die zu Hause blieben und ein Redebedürfnis hatten oder sich einfach ihrem Unglück ausgeliefert fühlten. Die Intensität, mit der die Babyboomer den psychischen Bedürfnissen ihrer Mütter tagtäglich und persönlich ausgesetzt waren - insbesondere ihrer Wut, Schuld, Scham und Depression -, sucht in der Geschichte der amerikanischen Familien ihresgleichen. In früheren Zeiten wandten sich die Mütter an ihre eigenen Mütter, Schwestern und Brüder, um sich emotionale Unterstützung zu holen und die Kinder be treuen zu lassen. Noch bis zum Zweiten Weltkrieg konnten selbst frisch gebackene Mütter ihrer Arbeit auf der Farm oder im Familiengeschäft weiter nachgehen, während die Großfamilie die Kinder hütete. Frauen aus der Mittel- und Oberschicht zahlten für die Kinder betreuung und hatten keine

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