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Wenn Eltern es zu gut meinen

Titel: Wenn Eltern es zu gut meinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polly Young-Eisendrath
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Schuldgefühle, wenn sie ihre Kinder selbst für ausgedehnte Ferien Ammen und Kindermädchen überließen. Den Müttern früherer Zeit standen Mittel und Wege offen, die den Müttern nach dem Krieg verschlossen waren.
    Immer und überall auf der Welt geben Kinder sich große Mühe, die emotionalen Bedürfnisse ihrer Eltern zu befriedigen. 3 Kinder hoffen, auch wenn ihre Erwartungen enttäuscht werden, auf glückliche, gesunde
Eltern, die für sie sorgen. Wenn die Eltern nicht glücklich sind, tun Kinder ihr Bestes, um sie glücklich zu machen und sie so lange zu liebkosen und zu drängen, bis sie es sind. Funktioniert das nicht, denken sie sich in der Fantasie einfach adäquate Eltern aus, die an die Stelle der in Wirklichkeit unzulänglichen Eltern treten. Kinder, die von einer zutiefst unglücklichen und »bösen« Mutter abhängig sind, werden versuchen, sich gut zu benehmen, sie zu unterhalten und zu beraten, in die Fantasie zu flüchten oder - wenn alles andere zu scheitern scheint - ein Problemkind zu werden, um die Aufmerksamkeit der Mutter abzulenken.
    Die großen emotionalen Bedürfnisse der Mütter, die lange Abwesenheit und Müdigkeit der Väter und die schlechte Behandlung, die Kindern der geburtenstarken Jahrgänge oft von ihren Eltern zuteil wurde, be deuten, dass sie in der »Generation SIE« aufwuchsen. Ihr Leben drehte sich um SIE . SIE - Mütter, Väter und ältere Geschwister - beherrschten die emotionale Bühne. Vor allem verwechselten die Kinder dieser Jahr gänge das Gefühl, von IHNEN geliebt zu werden, damit, deren emotionale Bedürfnisse zu befriedigten. Erfüllten sie die Bedürfnisse ihrer Mütter, wie ich es tat, wenn ich meiner Mutter stundenlang vorlas oder ihr etwas beibrachte, erlebten Kinder Nähe, Verbundenheit und Geborgenheit, die sonst gewöhnlich nicht da waren. Unter diesen Umständen wurden die meisten dieser Kinder wahrgenommen und dafür geliebt, dass sie die Rolle der Tochter oder des Sohnes erfüllten, nicht dafür, dass sie einmalige Individuen mit eigenen Bedürfnissen und Fähigkeiten waren.
    Ich habe mich wiederholt gefragt, was genau es für die Babyboomer so ausschlaggebend machte, als Individuum
wahrgenommen und erkannt zu werden. Frühere Generationen von Kindern wurden zweifelsohne mindestens ebenso ignoriert, abgewertet und misshandelt wie die Babyboomer. Mittlerweile glaube ich, dass die Mobilität und Isolation der Kleinfamilie eine wichtige Rolle in ihrem Elend spielte. Diese Bedingungen stürzten Mütter in ein gesellschaftliches und emotiona les Chaos und beraubten die Kinder einer Großmutter, eines Großvaters oder Onkels, die den individuellen Wert des heranwachsenden Kindes vielleicht erkannt hätten. In den Generationen vorher wurden Kinder oft von Mitgliedern der Großfamilie, die nicht so stark wie die Eltern in die täglichen Pflichten des Lebens eingebunden waren, als Individuen erkannt. Und in diesen früheren Generationen war die Arbeit, die die Kinder auf der Farm oder im Familienbetrieb leisteten, vielleicht sichtbarer und handfester als die Arbeit, die die Babyboom-Kinder verrichteten, und gab ihnen ein Gefühl von persönlichem Wert, wie ich es hatte, wenn ich durch meine Arbeit außerhalb der Familie Geld verdiente. Die grundsätzliche Aufgabe von Kindern dieser Jahrgänge bestand darin, dafür zu sorgen, dass ihre Mütter glücklich waren. Diese Aufgabe konnte keiner von beiden Eltern honorieren; es war keine legitime Arbeit.
    Wenn ich auf meine eigene Kindheit zurückblicke, weiß ich inzwischen, dass ich mich nach der Aufmerksamkeit meiner Lehrer und Mentoren sehnte, denn sie unterschied sich von der Aufmerksamkeit, die ich von meiner Mutter erhielt. Auch wenn meine Mutter warmherzig reagierte, sobald ich ihr Aufmerksamkeit schenkte, war sie nicht daran interessiert, mehr über mich zu erfahren; sie war daran interessiert, dass ich
mehr über sie erfuhr. Ich habe festgestellt, dass das bei den Kindern dieser Jahrgänge häufig so war. Letztlich glaube ich, dass wir Schuld- und Schamgefühle wegen unserer eigenen Bedürfnisse und Wünsche hatten, auf eine Weise, die andere Generationen nicht kannten.
    Als die Babyboomer schließlich das Elternhaus verließen, gingen sie mit einem Ungestüm weg, der anderen Generationen vor und nach ihnen fehlte. Wir wollten weg, um ganz auf eigenen Füßen zu stehen. Unser rascher und endgültiger Abschied von den Eltern war, wie ich glaube, ein Ausdruck davon, dass wir nicht mehr für SIE leben wollten.

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