Wenn Eltern es zu gut meinen
etwas wie einen Erziehungsstil gar nicht wirklich haben, weil sie sich nicht als Autoritäten betrachten. Sie geben gewöhnlich nicht viele Ratschläge oder, wenn sie es tun, entschuldigen sie sich anschließend dafür. Doch wollen sie ihrem Nachwuchs größtmögliche Ermu tigung und Chancen zuteil werden lassen, und sie ge ben gern mit den Leistungen und Erfolgen ihrer Kinder an. Sie finden gewöhnlich einen Weg, Kritik an ihren Kindern durch Autoritäten, wie Schulpersonal oder andere Leute außerhalb der Familie, zu verhindern oder zu entkräften. Laissez-faire-Eltern sind zurückhaltend oder inkonsequent beim Disziplinieren und versuchen, ihre Kinder stets in einem positiven Licht zu sehen.
Als ich Adrienne fragte, wer von ihren Eltern die Autoritätsfigur war, schaute sie zuerst verdutzt, als ob meine Frage seltsam wäre. Dann antwortete sie: »In Fragen der Autorität war meine Mutter zuständig.« Wie zeigte ihre Mutter Autorität? Adrienne zögerte wieder und sagte dann: »Ich kann mich nicht erinnern, dass sie je etwas direkt ansprach, außer vielleicht, wie ich Schularbeiten machen sollte, zum Beispiel, wie man sich Notizen machte. Oder sie redete über meine Freundinnen und dergleichen.« Adriennes Mutter verlieh ihrer Autorität auch indirekt dadurch Ausdruck, dass sie ihrer Tochter Dinge erzählte, die sich an der privaten Highschool ereignet hatten, an der sie unterrichtete.
Aus diesen Gesprächen konnte Adrienne entnehmen, wie ihre Mutter sich verhielt.
Adrienne glaubt inzwischen, dass ihre Eltern nicht wussten, wie sie mit ihr umgehen sollten, besonders nachdem ihre Essstörung eingesetzt hatte. Ihrer Meinung nach fürchteten sie sich, ihr irgendwelche Grenzen zu setzen, weil sie dann noch mehr abnehmen würde, um wieder in den Besitz der Macht zu kommen. »Ich hatte viel zu viel Kontrolle. Wenn ihr Verhalten mir nicht passte, verletzte ich mich einfach selbst noch mehr, und das verletzte sie auch.«
Adriennes Eltern waren freundlich und umgänglich, aber nicht tonangebend und respekteinflößend. Laissez-faire-Eltern verhalten sich nicht wie Autoritäten, es sei denn, ihre Kinder fragen sie um Rat, und selbst dann tun sie es vielleicht nur widerstrebend. Ich erinnere mich, dass mein Mann und ich Sätze von uns gaben wie: »Wir sind hier die Eltern, oder? Ihr solltet auf uns hören, nicht wahr?« in Situationen, in denen wir auf Widerreden oder die Arroganz unserer heranwachsenden Kinder hätten energisch reagieren sollen.
Tim Guibault ist ein Schulpolizist in Zivil. Er ist ein stämmiger, sportlicher Mann mittleren Alters mit Bürstenschnitt und Kinnbart und trägt nie eine Uniform bei der Arbeit, doch er strahlt deutlich Autorität aus. Die Kinder respektieren ihn, sobald sie merken, dass er keine Ausreden für verantwortungsloses Verhalten akzeptiert. Bis sie das wissen, stellen sie ihn natürlich auf die Probe.
Tim glaubt, dass zu viele Eltern einen Laissez-faire-Stil haben. »Das größte Problem, mit dem wir zu tun haben, ist, dass Eltern jede Menge Ausreden für das Verhalten ihrer Kinder parat haben. Hauptsächlich bekomme
ich zu hören: ›Dieser Lehrer hat etwas gegen mein Kind‹ oder ›So etwas tun Kinder in diesem Alter nun mal‹. Das trifft nicht auf hundert Prozent der Fälle zu, aber vermutlich auf achtzig oder neunzig«, sagt er.
Tim macht darauf aufmerksam, dass Erwachsene allzu oft Freunde der Kinder und nicht Autoritäten sein wollen. »Wir haben hier sogar Lehrer, die ihre Schüler als Freunde bezeichnen. Das nenne ich das ›Ich bin okay, du bist okay‹- Syndrom«, klagt Tim (ohne etwas von meiner Theorie des »Ich bin okay, du bist okay«-Erziehungsstils zu wissen). Tim sieht besonders den »Time-out«, eine Art Unterrichtsausschluss als Disziplinarmaßnahme, kritisch, weil Kinder seiner Ansicht nach dabei nicht lernen, warum sie mit Unterrichtsausschluss bestraft werden. »Sie haben einen Time-out, und das war’s. Als Eltern und Erzieher müssen wir unsere Rolle erfüllen, Autoritäten und Mentoren zu sein, nicht Freunde.«
Die Helikopter-Erziehung
Dieser Erziehungsstil betrifft Eltern, die wie ein Helikopter behütend über ihren Kindern schweben und nicht nur freundlich zu ihnen, sondern eng befreundet mit ihnen sein wollen. 7 In der Annahme, dass Kinder und Eltern immer angenehme, vertraute Gefühle haben sollten, konzentriert sich die Helikopter-Erziehung auf den Erfolg und die Kreativität der Kinder wie auch auf eine konfliktfreie Beziehung. Sie wird am
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