Wenn Eltern es zu gut meinen
Aufgaben aus, die wirklich wichtig und altersangemessen sind (beispielsweise ein Haustier oder eine Pflanze zu versorgen). Zeigen Sie Ihrem Kind konkret und detailliert, wie es die Aufgabe ausführen soll, beobachten Sie es eine Weile, und dann überlassen Sie die Aufgabe Ihrem
Kind. Bleiben Sie natürlich als Retter in der Not im Hintergrund (lassen Sie die Katze nicht verhungern, wenn Ihr Sohn sie nicht füttert), aber übernehmen Sie auch nicht die Verantwortung. Ihr Kind sollte die negativen Folgen spüren, wenn es eine Aufgabe nicht ausführt oder nur schlampig erledigt. Es gibt nichts, was die innere Stabilität Ihrer Kinder mehr stärkt als das Wissen, dass sie imstande sind, einen wichtigen Beitrag zu leisten, und dass man sich auf sie verlassen kann.
Selbst kleine Kinder können lernen, dass Schwierigkeiten, die uns aus der Bahn werfen, auch unser Mitgefühl wecken, indem sie uns helfen, auf unsere eigenen Nöte und jene anderer in geeigneter Weise zu reagieren. Dadurch wird nicht nur eine solide Grundlage für einen guten Charakter und ein gut funktionierendes Gewissen gelegt, sondern auch die Anspruchshaltung gesenkt, die aus den unverdienten Privilegien einer bevorzugten Kindheit entstehen kann. Das ist es, was Schwierigkeiten lehren.
KAPITEL 4
Die Notwendigkeit von Gewissen und inneren Stärken
Unlängst klaute die 14-jährige Tochter meiner Freundin ein Baumwoll-T-Shirt in einem großen Laden am Ort. Als sie sich damit in einer E-Mail brüstete, die sie auf dem Computer der Familie geschrieben hatte, wurde sie von ihren Eltern ertappt. Sie fragten mich, wie sie meiner Ansicht nach darauf reagieren sollten, und ich sagte, was ich für offensichtlich hielt: Das Mädchen solle das T-Shirt in den Laden zurückbringen und fragen, was sie tun könne, um den Diebstahl wieder in Ordnung zu bringen. Die Eltern waren über meinen Vorschlag entsetzt. Das sei zu demütigend. Schließlich habe sie niemanden geschädigt. Die großen Läden hätten doch Versicherungen, die für kleine Diebstähle aufkämen. Und sie würde es auch nie wieder tun. Ich schwieg.
Einem Kind zu helfen, ein gut funktionierendes Gewissen zu entwickeln, ist eine ernstzunehmende Angelegenheit, die viel Nachdenken und Engagement vonseiten der Eltern erfordert. Wenn unsere Kinder in die Pubertät kommen - eine Zeit intensiver und natürlicher Selbstbezogenheit -, haben sie bereits eine Identität entwickelt, der zufolge sie entweder glauben, beson ders und überlegen oder ein normaler Mensch zu sein, der sich an die Regeln halten muss. Ein überzogenes Gefühl der eigenen Wichtigkeit und eine Anspruchshaltung
machen es einem Teenager oder jungen Erwachsenen besonders schwer, sich vorzustellen, dass Ladendiebstahl, Lügen oder Abschreiben die sozialen Strukturen zerreißen, von denen wir alle abhängen, ganz gleich, ob man geschnappt wird oder nicht.
Die Entwicklung eines gut funktionierenden Gewissens ist ein Prozess, der vor dem sechsten Lebensjahr beginnt und zu seiner vollen Reife Jahre braucht. Er beginnt mit Regeln und strengen Richtlinien, die eine Sensibilität und ein Verständnis für die Tatsache wecken, dass wir alle voneinander abhängig sind, selbst in unseren ureigensten Wünschen und Schwächen. Ein gut funktionierendes Gewissen ist wie ein Kompass, der uns in schwierigen Situationen den Weg weist, wenn wir nicht klar sehen.
Die Entwicklung des Gewissens
Das Gewissen ist ebenso die Fähigkeit, zwischen Richtig und Falsch zu unterscheiden, wie auch das Bestreben oder die Motivation, das Richtige zu tun. Das Wort »Gewissen« klingt ein wenig altmodisch, als wäre es auf unser postmodernes, hektisches Leben nicht mehr anwendbar. Doch eine Umfrage unter jungen Berufsanfängern aus dem Jahre 2005 hat ergeben, dass die überwältigende Mehrheit glaubt, richtiges Handeln sei wichtiger, als im Beruf voranzukommen. 1
Man könnte denken, das sei eine gute Nachricht. Doch trotz der Aussage, das Richtige tun zu wollen , gibt eine beachtliche Anzahl von jungen Erwachsenen zu Protokoll, dass sie, wenn sie vor einem moralischen Dilemma stünden, nicht das Richtige tun würden. Beispielsweise
sagen 43 Prozent, dass ihnen Loyalität gegenüber Freunden wichtiger als Ehrlichkeit ist. Der Skandal der Gefangenenmisshandlungen in Abu Ghraib ist ein bekanntes Beispiel dafür, dass junge Amerikaner ihre Werte aus Loyalität gegenüber einem Freund oder Kollegen über Bord warfen. Ein gut funktionierendes Gewissen erweist sich dadurch, dass man
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