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Wenn Eltern es zu gut meinen

Titel: Wenn Eltern es zu gut meinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polly Young-Eisendrath
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den Charakter und den Mut aufbringt, das Richtige zu tun, selbst wenn es mehr kostet, als man bezahlen will . Tatsächlich ist das Gewissen nicht völlig real, solange es nicht die Bewährungsprobe bestanden hat. Bis dahin ist es eine Ansammlung von Idealen oder, schlimmer noch, ein Lippenbekenntnis, das man nur ablegt, um den Schein zu wahren.
    Eine andere kürzlich (vom Josephson Institute of Ethics im Jahre 2004) durchgeführte allgemeine Umfrage unter fast 25 000 Schülern an Highschools ergab, dass beinahe zwei Drittel bei Tests schummelten und 40 Prozent zugaben, »manchmal zu lügen, um Geld zu sparen«, während mehr als ein Viertel in den vergangenen zwölf Monaten Ladendiebstähle begangen hatte. Und doch sagte ebenso wie bei den Berufsanfängern die überwiegende Mehrheit dieser Schüler, dass ihnen Ehrlichkeit, Moral und ein guter Charakter sehr wichtig seien. Tatsächlich glaubten 90 Prozent, es sei wichtiger, »ein guter Mensch als reich zu sein«, und es lag ihnen fern, zynisch über die Notwendigkeit zu reden, sich an die Regeln zu halten. 2 Diese Diskrepanz zwischen dem Ideal eines guten Charakters und der Realität ethischen Handelns erregte meine Neugier, und so beschloss ich, eine eigene informelle Umfrage unter jungen Leuten zu starten.
    In drei Colleges (eins in Massachusetts und zwei in
Vermont) bat ich Studenten, einen einfachen Fragebogen auszufüllen, in dem sie auf einer Punkteskala ihre Meinung zu Lügen, Schummeln, Klauen und Berühmtoder Durchschnittlichsein abgeben sollten. Meine Ergebnisse deckten sich mit den nationalen Umfragen: Die große Mehrheit der Befragten vertrat die Ansicht, man solle sich an die Regeln halten, aber ein beträchtlicher Prozentsatz hatte Probleme damit, es auch tatsächlich zu tun. Beispielsweise sagte mehr als ein Drittel der Studenten, sie würden in großen Läden klauen, wenn sie wüssten, dass sie nicht erwischt werden. Erschreckende 63 Prozent gaben an, dass viele ihrer Freunde Eltern und Lehrer anlogen, während etwas weniger als ein Viertel zugab, auch selbst zu lügen. Und natürlich war es keine Überraschung, dass mehr als zwei Drittel sagten, es sei besser, sich besonders zu fühlen, als normal zu sein. 30 Prozent fanden es schwierig, ehrlich zu sein, weil so viele Menschen logen. Und es war, wie gesagt, nicht verwunderlich, dass fast die Hälfte der Studenten befürchteten, die hohe Messlatte, die sie an die Zukunft angelegt hatten, nicht erreichen zu können. Junge Frauen unterlagen stärker der Versuchung zu klauen und empfanden einen größeren Druck, besonders zu sein, als junge Männer.
    Wie können junge Erwachsene und Schüler an der Highschool so offensichtlich an die Wichtigkeit eines guten Charakters und der Moral glauben und dennoch so oft der Versuchung unterliegen, zu schummeln, zu lügen und zu klauen? Das besondere Selbst spielt dabei eine Rolle. Einerseits empfinden einige junge Menschen den Druck, außergewöhnlichen Erfolg zu haben, und legen die Messlatte zu hoch. Sie rechtfertigen das Lügen, Schummeln und Klauen dann vielleicht mit der
Überzeugung, dass Leute dies im »wirklichen Leben« ohnehin die ganze Zeit tun und erfolgreiche Menschen schummeln müssen, um voranzukommen. 3
    Andererseits blähen sie ihr Selbstbild im Vergleich zu ihrem Charakter auf. In der Umfrage unter fast 25 000 Schülern zogen die Wissenschaftler den Schluss, dass die Selbsteinschätzung der Befragten fehlerhaft war: »Obwohl sie zugeben, dass sie in hohem Maße lügen, schummeln und stehlen, haben Highschool-Schüler ein hohe Meinung von ihrem Charakter und ihrer Moral, sowohl relativ als auch absolut gesehen.« 4
    Wenn Kinder von wohlmeinenden »Ich bin okay, du bist okay«-Eltern über ihre tatsächlichen Leistungen hinaus gelobt und davor geschützt werden, das notwendige Zwicken ihrer jungen Egos zu erleben, ent wickeln sie möglicherweise die lästige Gewohnheit des Anspruchsdenkens.

Anspruchsdenken: der Feind eines gut funktionierenden Gewissens
    Wenn Menschen, gleich welchen Alters, so handeln, als hätten sie Rechte und Privilegien, ohne sie sich verdient zu haben, nennen andere sie anspruchsvoll und nehmen sie als selbstsüchtig, gefühllos oder anstö ßig wahr. Amerikanische Kinder gelten weithin als anspruchsvoll und respektlos gegenüber Erwachsenen. Bei einer Umfrage von Public Agenda, einem unpar teiischen und gemeinnützigen Meinungsforschungs institut, im Jahre 2002 sagten nur 9 Prozent der befragten amerikanischen Erwachsenen,

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