Wenn Eltern es zu gut meinen
reich. Deine Mutter und ich sind reich. Du hast gar nichts.‹«
Landers wünscht sich, die heutigen Eltern könnten so brutal ehrlich mit ihren Kindern sein. »Das Anspruchsdenken - nicht nur bei Schülern, sondern auch bei Eltern - nimmt überhand. Eltern verlangen, dass wir für ihre Kinder bessere Unterkünfte besorgen als ein Zimmer im Wohnheim. Eine Freundin, deren Tochter demnächst das Saint Michael’s College besucht, erzählte mir, dass sie zufällig mit angehört hatte, wie eine Studentin im ersten Semester im Bad des Studentenwohnheims
sagte: ›Ein Bad teilen? Das kann nicht gut gehen.‹ Meine Freundin brach in Lachen aus. Ich erzählte ihr, dass ich meine neuen Erstsemester gefragt habe, wie viele von ihnen sich je ein Zimmer mit anderen geteilt hätten. Die meisten kannten das gar nicht. Das ist eine Veränderung, die ich in den letzten zehn bis zwölf Jahren beobachtet habe.« Wenn privi legierte Kinder aufs College kommen, erleben sie womöglich einen Schock, weil sie zum ersten Mal in ihrem Leben ein Zimmer und andere Lebensnotwendigkeiten mit anderen teilen müssen. 6 Wenn Eltern sich nicht einmischen, können die jungen Menschen etwas über Freundlichkeit und gegenseitige Abhängigkeit lernen, aber allzu oft räumen Helikopter-Eltern ihren Sprösslingen die Steine aus dem Weg.
Junge Leute wie Erin, Adrienne und Jason, ebenso wie die vielen tausend jungen Menschen, die in den erwähnten Umfragen zu Wort kamen, wissen nicht, wie sie anhand der ihnen beigebrachten Werte ihr Leben führen sollen, denn ihre Erwartungen sind nicht realistisch. War Erins akademische Mentorin beispielsweise wirklich ungeeignet, oder hatte sie bloß mit ihrer eigenen Forschung zu tun und war zu Recht nicht ständig für sie da? Erin war sich nicht sicher. Als Erin während des Sommers für die Mannschaft auf dem Segelschiff arbeitete, verstand sie weder, sich emotional zu schützen, noch konnte sie einschätzen, was ungerecht war (und Gegenstand einer Beschwerde sein sollte). Als sie auf ihr Verhalten in der Kindheit zurückblickte, sagte sie: »Ich war eigentlich ein Prachtkind, außer dass ich Widerreden gab und frech war.« Sie hielt das nicht wirklich für schlechtes Benehmen. Ihrer Ansicht nach hatte sie sich die Identität des Prachtkinds verdient ,
weil sie »erfolgreich war, positives Feedback und viel Anerkennung durch Zensuren und Lehrer bekam.«
Tatsächlich wurde ihr diese Identität eines »Prachtkindes« von Menschen vermittelt, die älter waren als sie, und anderen, die ihr das Gefühl gaben, dass sie fast immer gut und richtig lag, selbst wenn sie Fehler machte oder sich daneben benahm. Ich hatte als junges Mädchen hervorragende Noten und benahm mich sehr höflich, aber ich hielt mich nie für ein »Prachtkind«. Ich war eben ein Kind und wusste, dass ich nicht perfekt sein konnte, weil es noch so viel zu lernen gab. Ich konnte nicht perfekt gärtnern, Hemden bügeln oder den Fußboden wischen, es sei denn mit viel Anleitung und Übung. Mir war von klein auf klar, dass alles, was ich tun oder werden wollte, mit einem Prozess der Meisterung verbunden war. Die heutigen Kinder haben jedoch andere und hochfliegendere Erwartungen. Manchmal haben diese Erwartungen tragische Folgen.
Ein schwarzes Loch des Größenwahns
An einem Samstag im Januar 2001 klopften zwei Schüler an die Haustür von Half und Susanne Zantop, Professoren an der Dartmouth University, in Etna, New Hampshire. Als Half Zantop den Jungen die Tür öffnete, erklärten sie, sie würden eine Umfrage zum Umweltschutz durchführen, und fragten, ob die Zantops ihnen helfen könnten. Half bat sie herein, bot ihnen jede erdenkliche Hilfe an und führte sie in sein Arbeitszimmer. Dort töteten die Jungen Half und Susanne in einem Akt blutiger Raserei, indem sie mit ihren Jagdmessern tief und wiederholt auf ihre Opfer einstachen.
Dann entwendeten sie eine kleine Geldsumme, die sie in Halfs Brieftasche fanden, und verließen das Haus, wobei sie sich keine Mühe gaben, die Spuren zu verwischen, die zu ihrer Verhaftung und schließlichen Verurteilung führten.
Ich hörte zum ersten Mal von den »Darthmouth-Morden« am Morgen nach der Tat, als mir im örtlichen Laden, in dem mein Mann und ich gewöhnlich für Cranberrymuffins und einen Morgenkaffee anhalten, die Schlagzeile unserer Lokalzeitung ins Auge fiel. Morde sind in unserer Gegend so selten, dass Menschen mehr als 10 oder 20 Jahre zurückdenken müssen, um sich an den letzten zu erinnern.
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