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Wenn Eltern es zu gut meinen

Titel: Wenn Eltern es zu gut meinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polly Young-Eisendrath
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Thompson sagt, lautete die unbewusste Botschaft: »Ich kann nicht auf eigenen Beinen stehen. Bitte rette mich.« Und in der Tat nahm sich der Vater eine Wohnung in der Nähe des College, um für sie da zu sein, was alles jedoch nur noch schlimmer machte.
    In seiner klinischen Arbeit mit Eltern warnt Thompson sie vor den katastrophalen Folgen, die eintreten
können, wenn sie die Fähigkeit der Kinder untergraben, ihre Probleme selbst zu lösen. »Diese Projektion der elterlichen Angst auf Kinder - indem sie sie für zu schwach halten, um mit den Folgen ihrer eigenen Handlungen fertig zu werden - entzieht sich unseren Blicken. Sie entgeht dem Radar, aber es ist ein Faktor, der die Entwicklung eines Kindes effektiv behindern kann.«
    Wenn ich Eltern von Schülern in der mittleren oder höheren Stufe der Highschool therapiere, betone ich, dass Kinder in diesem Alter ebenso sehr lernen, autonom zu sein, wie sie irgendein Schulfach lernen. Wie ich bereits erwähnt habe, bedeutet Autonomie die Fä higkeit, sich selbst zu steuern - Entscheidungen zu treffen und die eigenen Handlungen selbst zu bestimmen. Je eher wir von unseren Kindern erwarten, Verantwortung für ihre Handlungen zu übernehmen, ganz gleich, wie alt sie sind, desto besser. In jedem Alter gibt es entwicklungsspezifische Herausforderungen und neue Ver antwortlichkeiten, die mit neuen Rechten und Freiheiten für das heranwachsende Kind verknüpft sind. Neue Freiheiten - beispielsweise zu wählen, was man anzieht oder mit wem man befreundet ist - bedeuten neue Verantwortung, was die Folgen der eigenen Entscheidungen angeht. Wenn ein Kind zu spät zur Schule kommt, weil es beim Auswählen und Anziehen seiner Kleidung getrödelt hat, sollte es die Folgen seiner Verspätung erleben, worin auch immer sie bestehen. Wenn die Eltern eingreifen (indem sie mit ihm zur Schule rasen oder seinem Lehrer eine Entschuldigung schreiben), hat das Kind die Gelegenheit versäumt, einen Schritt in Richtung einer Autonomie zu machen, in der es mit seinen eigenen Entscheidungen fertig werden muss.

Was Schwierigkeiten lehren
    Widrigkeiten zu überwinden und aus Schwierigkeiten zu lernen lehrt uns etwas über das Leiden, sowohl über unser eigenes als auch das anderer. Es minimiert auch das besondere Selbst, indem es uns zeigt, dass wir oft keine Kontrolle über unsere Umstände, sondern nur (und nur unvollkommen) über unser eigenes Verhalten haben. Wenn es uns gelingt, die Selbstvorwürfe zu reduzieren und das Vertrauen zu uns selbst aufrecht zuerhalten, sobald sich alles gegen unsere Wünsche oder Sehnsüchte zu verschwören scheint, können wir uns aus der Selbstwertfalle befreien und größeres Einfühlungsvermögen und Mitgefühl mit uns selbst und anderen entwickeln. Den Unterschied zwischen Selbstvorwürfen und Verantwortung zu lernen weckt in uns Bescheidenheit und schärft unser Gefühl dafür, normal zu sein. 9 Wir beginnen durch unsere eigene Erfahrung zu verstehen, dass Menschen immer und überall mit den Anforderungen ringen, denen sie begegnen, und dabei häufig aus der Bahn geworfen werden.
    Wenn diese Einsicht in uns an Boden gewinnt, öffnet sich unser Herz. Wir begreifen im tiefsten Innern, dass niemand gegen Wandel, Furcht, negative Gefühle, Verlust, Fehler, Krankheit und Tod gefeit ist. Es fällt uns leichter, Vertrauen zu unseren eigenen Handlungen zu entwickeln und in Kontakt mit der Wirklichkeit zu bleiben. Es fällt uns auch leichter, mit anderen in Beziehung zu treten, weil wir weniger Angst vor Konflikt haben und weniger dazu tendieren, unsere Fehler und Eigenheiten negativ zu bewerten. Mitgefühl oder »Mitleid« mit anderen zu haben, bedeutet wörtlich mit ihnen leiden; anderen helfen zu können entsteht da
raus, dass wir selbst leiden. Solange wir nicht wirklich wissen, was Leiden ist, können wir nicht helfen.
    Wir (und unsere Kinder) lernen nicht nur daraus, dass wir Schwierigkeiten begegnen und sie überwin den, sondern wir lernen auch daraus, dass wir das Leiden im Leben anderer miterleben. Wohlmeinende Eltern schirmen ihre Kinder heutzutage allzu oft vor Armut, schwerer Krankheit und dem Tod anderer Menschen ab. Damit nehmen sie dem heranwachsenden Kind die Chance, Schwierigkeiten zu verstehen und in Kontakt mit seinen natürlichen spirituellen Bestrebungen zu kommen. Das Leiden anderer ruft in uns Fragen nach dem Sinn des Lebens und des Todes wach und weckt schließlich unseren Wunsch zu helfen.
    Einige Eltern widersetzen sich dem Zeitgeist und

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