Wenn Eltern es zu gut meinen
irgendwann kommt der Tod! Vergiss das nicht! Ob morgen oder in fünfzig Jahren. Wirst du mit dem Fazit deines Lebens zufrieden sein? Kannst du den jetzigen Augenblick lieben und ehren?«
Das Miterleben von Krankheit und Tod ruft auch unsere Großzügigkeit und unser Mitgefühl wach, wenn
wir uns die dafür notwendige Zeit und Aufmerksamkeit nehmen. Wie auch manche Tiere wundern wir uns über den Tod. Wenn Eltern mich fragen, wie sie ihre kleinen oder pubertierenden Kinder an ein spirituelles Bewusstsein heranführen können, empfehle ich ihnen immer, mit ihnen Kranke und Sterbende zu besuchen. Für ein Kind unter vier ist es schwierig, die Fakten zu verstehen. Danach ist es einem Kind meistens klar, was Tod und Krankheit bedeuten. In jedem Augenblick gibt es in unserem Leben gewöhnlich jemanden in unserer Nachbarschaft oder im Umkreis der Familie, der krank ist oder im Sterben liegt. Und in manchen Augen blicken liegt ein uns nahestehender Mensch auf dem Sterbebett. Das ist eine sehr wichtige Zeit, um diesen Menschen zu besuchen - und die Kinder mitzunehmen. Wenn ein Angehöriger schwer krank ist oder im Sterben liegt, tauchen viele existenzielle und religiöse Fragen und Anliegen auf. Es kann auch nützlich sein, Kranke oder Sterbende zu besuchen, die man nicht so gut kennt, weil man möglicherweise eine überraschend fundamentale Verbindung mit ihnen entdeckt, die das Persönliche transzendiert. Mutter Teresa sprach oft davon, wie dankbar sie dafür war, Fremde zu begleiten, die im Sterben lagen, und mit ihnen eine große Nähe zu erleben. Da wir alle hinfällig werden (oder einen Unfall haben) und irgendwann sterben, sind wir durch den Tod alle miteinander verbunden.
Wenn Karin sich an ihre Jugend erinnert, sieht sie ihre Begegnungen mit Aids und dem Tod als »ein perfektes Gegenmittel gegen all den trivialen Quatsch in der Highschool: Kleider, Collegebewerbungen, Partys, Trinken, Sex und Klatsch. Etwas zu haben, was tief und spirituell war - ohne Predigt oder Dogma -, war das
perfekte Ventil. Das andere Zeug war albern, das hier war die Wahrheit .« Wieder taucht das Wort »Wahrheit« auf. Je näher wir dem wahren Leben kommen - dem Wissen, dass wir begrenzt, verletzlich, abhängig von anderen und verantwortlich für unsere eigenen Entscheidungen sind -, desto besser. Karin fährt fort: »Auf den Beerdigungen musste ich weinen, und das tat ich ausgiebig. Ich weinte oft weiter, während ich gedanklich zu einem Streit mit meinem Freund, dem Druck in der Schule oder irgendeinem namenlosen Kummer abschweifte.«
Der »namenlose Kummer« kann den bewussten und unbewussten Verlusten entsprechen, die sie in ihrem Leben erlitten hatte. Unsere Verluste anzuerkennen und über sie zu reden ist eine Weise, unsere Achtung vor dem Leben zu stärken. Dr. David Landers, der von mir interviewte Psychologieprofessor am Saint Michael’s College, erwähnte, dass die meisten College-Studenten den einen oder anderen Mitschüler gehabt hatten, der schon in der Highschool verstorben war. »Fast jeder Student, den ich kenne, hatte einen Freund, der in der Highschool durch Alkohol, Drogen oder einen Unfall ums Leben gekommen ist. Wie geht die Familie damit um? Als meine Nichte durch einen Autounfall einen Freund verlor, der gefahren war, wobei auch ein weiterer Junge starb, der Beifahrer gewesen war, sagte sie, sie wolle zur Totenwache gehen. Meine Schwester fragte sie: ›Soll ich mitkommen?‹, und meine Nichte antwortete: ›Nein, ich gehe mit ein paar Freunden hin.‹ Das taten sie. Ich weiß nicht, ob sie sich danach mit ihren Freunden oder ihrer Familie da rüber unterhielt, aber ich denke, es ist wichtig, darüber zu sprechen.«
Wir sollten uns mit der eigenen Familie und Freunden über den Tod austauschen: darüber, was unserer Meinung und der Meinung anderer nach geschieht, wenn wir sterben. Jeder hat eine Meinung dazu, und viele Menschen besitzen tiefe Einsichten, aber wenig Gelegenheit, mit anderen darüber zu sprechen. Beson ders Kinder haben oft tiefe Einsichten über den Tod, weil sie noch nicht von der in unserer Kultur gängigen Voreingenommenheit und Skepsis vorbelastet sind.
Wenn wir mit unseren Kindern oder Freunden über den Tod sprechen, sollten wir nicht von simplen Euphemismen ausgehen, wie »einschlafen« oder »in die ewigen Jagdgründe eingehen«. Selbst wenn man Ihnen eingeredet hat, der Tod sei gleichbedeutend mit einer »geraden Linie auf dem EEG« oder dem »endgültigen Aus«, könnten Sie für Ihre
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