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Wenn Eltern es zu gut meinen

Titel: Wenn Eltern es zu gut meinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polly Young-Eisendrath
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ihrer Handlungen zu erleben und davon zu berichten. Das ist auch eine gute Übung für Erwachsene. Zu schildern, wie wir uns mit einem Problem und seiner Lösung auseinan dergesetzt haben, ohne Angst vor unseren Irrtümern zu haben, ist eine der interessantesten und oft spaßigsten Formen zwischenmenschlicher Begegnung. Mit der Zeit entdecken Menschen, was ihnen hilft, die Kontrolle zu behalten und glücklich zu sein, wenn sie mithilfe ihrer Freunde begreifen, wie sie mit den positiven und negativen Folgen ihrer Entscheidungen umgehen können.
    Tatsache ist, dass wir nicht gut darin sind, vorherzu sagen, was uns glücklich macht oder was die Zukunft bringt. Menschen arbeiten beispielsweise immer mehr, um mehr zu erreichen und mehr zu verdienen, obwohl sie immer wieder entdecken, dass Privilegien, Status und besseres Spielzeug nicht zu dauerhaftem Glück führen. Es liegt also eine gewisse Ironie darin, dass wir
so große Freude daran haben, eigenständige Entscheidungen zu treffen und Verantwortung für unser Leben zu übernehmen, ohne wirklich zu wissen, was uns glücklich macht.

Negative Erfahrungen und Reue
    Ein Hauptgrund dafür, dass unsere Vorhersagen über die Zukunft unzuverlässig sind, ist die Tatsache, dass negative Erfahrungen uns nicht so schmerzlich treffen, wie wir vorher angenommen haben. Wenn wir uns wegen einer schlechten Zensur, einer verpassten Beförderung, der Auswirkungen der Scheidung auf unsere Kinder oder selbst wegen gesundheitlicher Probleme verrückt machen, sollten wir daran denken, dass das Problem vermutlich keine so große Rolle spielen wird, wie wir meinen. Wie Daniel Gilbert sagt: »Tatsache ist, dass negative Ereignisse eine Wirkung auf uns haben, aber gewöhnlich wirken sie sich bei Weitem nicht so stark oder so lange aus, wie wir es erwarten.« Obwohl mehr als die Hälfte aller Menschen in den Vereinigten Staaten in ihrem Leben schon einmal ein Trauma, wie eine Vergewaltigung, Körperverletzung oder eine Naturkatastrophe, erlebt haben, entwickelt nur eine Minderheit ein posttraumatisches Syndrom oder braucht professionelle Hilfe. Innere Stabilität ist die am häufigs ten beobachtete Reaktion auf ein tragisches Ereignis, und die meisten Menschen fangen sich nach einem Trauma nicht nur wieder, sondern viele berichten auch von einem Gefühl der Bereicherung, weil sie etwas aus der Erfahrung gelernt haben. 3
    Den Schwierigkeiten des Lebens zu begegnen und
mit ihnen fertig zu werden gibt uns, wie ich wiederholt gesagt habe, Übung darin, unser Gleichgewicht wiederherzustellen. Allmählich entwickeln wir ein gesundes psychisches Immunsystem, das nach Gilbert »die Seele ebenso gegen Unglück verteidigt, wie das physische Immunsystem den Körper vor Krankheit schützt.« 4 Mit einem gesunden psychischen Immunsystem sind wir imstande, den mit Verlust, Unglück oder Ablehnung einhergehenden Schmerz teilweise abzuwehren, ohne dabei zu weit zu gehen (»Ich bin eindeutig im Recht oder weiß mehr als die anderen, und deshalb haben sie Unrecht«) oder uns zu wenig zu wehren (»Ich bin eine Katastrophe, und keiner würde mich lieben, wenn er die Wahrheit wüsste«). Ein gesundes psychisches Immunsystem sorgt für eine Ausgewogenheit, die uns erlaubt, aus der Realität zu lernen: (»Okay, nächstes Mal bin ich höflicher zu Tante Minnie«), ohne uns allzu schlecht zu fühlen. Um eine gute Abwehr zu ent wickeln, ohne defensiv zu sein, müssen wir wiederholt aus Schwierigkeiten lernen. Dazu bedarf es der Übung. Wenn Kinder von Helikopter- oder Rollentausch-Eltern vor dieser Übung geschützt werden, sind sie entweder übermäßig defensiv oder wehrlos, sobald sie mit der rauen Wirklichkeit des Erwachsenenlebens konfrontiert werden.
    Aber wie sieht es mit Reue aus? Was sollten wir tun, wenn wir vor einem Dilemma stehen, wie Erin in ihrem Magisterstudium oder Andrew, als er seine Berufswahl treffen musste? Viele Menschen begeben sich in Psychotherapie, weil sie fürchten, einen großen Fehler zu begehen, wenn sie eine schlechte Entscheidung treffen, oder weil sie glauben, sie seien an ihrem Unglück schuld, wenn sie bereits den falschen Partner
oder den falschen Beruf gewählt haben. Junge Erwachsene der Generation Ich kommen wie Andrew häufig mit der Überzeugung in die Therapie, sie müssten einen bestimmten Beruf oder eine bestimmte Art Partner (mit einem bestimmten Einkommen und dergleichen) haben, um glücklich zu sein. Man hat ihnen beigebracht, auf ihre Träume zu hören und sich mit

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