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Wenn Eltern es zu gut meinen

Titel: Wenn Eltern es zu gut meinen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Polly Young-Eisendrath
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sei ein Verlierer und habe nichts zu bieten. Vielmehr haben wir festgestellt, dass die übermäßige Betonung des individuellen Selbst - als isolierte, getrennte Einheit - der vorherrschende Fehler in der Kindererziehung der letzten dreißig Jahre gewesen ist. Als Menschen sind wir grundsätzlich soziale Wesen, und wir können unser individuelles Selbstvertrauen, unseren Selbstwert oder unsere Leistungen nicht betrachten, ohne zu berücksichtigen, dass wir miteinander verbunden sind.
    Anstand und innere Stärken unterstützen unser Verbundensein.
Sie erlauben uns, unsere Handlungen und Gefühle realistischer zu beurteilen. Wenn wir nicht lügen, betrügen oder stehlen, können wir vertrauensvoller und echter sein - freier im Umgang mit unserer Familie, der Gemeinschaft und der Welt. Dadurch ist es leichter, selbstbestimmt zu sein, weil wir nichts geheim halten müssen, was wir getan oder gesagt haben.
    Bei der Bilanz, die wir über uns und unsere Beziehungen auf diesen Seiten gezogen haben, wurde deutlich, dass es möglich ist, erfolgreich und kreativ zu sein, ohne besonders sein zu müssen. Wir haben diese Möglichkeit »Normalsein« genannt und ausgeführt, wie wir am besten lernen können, unsere Interdependenz anzunehmen und Gebrauch von unserer Autonomie zu machen.

Autonomie und Glück
    Man könnte sich fragen, ob Autonomie - gute Entscheidungen für uns selbst zu treffen und innerlich darauf zu vertrauen, dass wir unser eigenes Leben lenken können - etwas mit Glück zu tun hat. Aber es gibt Untersuchungen, die das genau belegen. Menschen genießen es, Autonomie auszuüben, nicht nur aufgrund dessen, was sie ihnen bringt, sondern auch aufgrund dessen, wie sie sich anfühlt. Wie der Psychologe und Wissenschaftler Daniel Gilbert in seinem 2006 erschienenen Buch Ins Glück stolpern schreibt: »Wir haben einen großen Schläfenlappen, um in die Zukunft zu schauen. Wir schauen in die Zukunft, um Vorhersagen über sie zu machen; wir machen Vorhersagen über sie,
um sie zu kontrollieren - aber wozu wollen wir sie überhaupt kontrollieren?« Selbst wenn wir Menschen bekanntermaßen nicht gut darin sind, vorherzusagen, was uns glücklich macht, genießen wir dennoch, wie er sagt, die Erfahrung, etwas tun zu wollen und es dann zu tun. 1 Wie ich im fünften Kapitel ausgeführt habe, finden wir von klein auf Gefallen daran, Dinge zu bewegen. Teil dieser Lust ist die subjektive Kontrolle - das Gefühl, die Kontrolle zu haben, ganz gleich, ob es stimmt oder nicht. Eine klinische Depression wird gewöhnlich vom Gefühl des Kontrollverlusts beschleunigt und ist immer davon begleitet. Subjektive Kon trolle ist ein Quell des Glücks, wenn sie nicht mit innerem Druck und einem übertriebenen Ichgefühl einhergeht. Tatsächlich legen Untersuchungen nahe, dass man am Verlust der subjektiven Kontrolle zerbrechen und möglicherweise sogar daran sterben kann.
    Bei einem Experiment schenkten Wissenschaftler jedem Bewohner eines Seniorenheims eine Zimmerpflanze. Der einen Hälfte der Bewohner übertrugen sie die Verantwortung für die Pflege und das Gießen der Pflanze (Gruppe mit hoher Kontrolle), der anderen Hälfte sagten sie, dass eine Mitarbeiterin sich um die Pflanze kümmern würde (Gruppe mit geringer Kon trolle). Nach sechs Monaten waren 30 Prozent der Bewohner aus der Gruppe mit der geringen Kontrolle gestorben, im Gegensatz zu nur 15 Prozent aus der Gruppe mit der hohen Kontrolle. Eine Nachfolgeuntersuchung bestätigte die Wichtigkeit subjektiver Kontrolle für das Wohlbefinden von Bewohnern in Altenheimen. 2 Das Gefühl von Kontrolle ist nicht nur angenehm, es wirkt sich auch günstig auf eine Reihe von psychischen und gesundheitsrelevanten Faktoren aus.

    Wie schon erwähnt, eignet sich eine Familienkonferenz hervorragend dazu, sich die Problemlösungen aller Beteiligten - der Erwachsenen und der Kinder - anzuhören und sie als Ausdruck der Autonomie, der Erfahrung der Selbständigkeit, zu werten. Wenn Kinder von Problemen und erfolgreichen oder erfolglosen Lösungen erfahren, beginnen sie zu verstehen, was es bedeutet, aus ihren eigenen Entscheidungen zu lernen, ganz gleich, ob sie das erwünschte Ergebnis erreichen oder nicht. Ich habe in diesem Buch immer wieder betont, dass man Kindern eine ihrem Alter angemessene Autonomie zugestehen sollte, ihre Probleme selbst zu lösen und eigene Entscheidungen zu treffen. Statt sie vor Misserfolgen und negativen Gefühlen zu schützen, sollten Eltern ihnen erlauben, die Folgen

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